03.06.2020
Redaktion
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„Sind die alle krank?“ – wie Kinder die Notbetreuung wahrnehmen

Mayla versteht die Welt nicht mehr: Eben hat sie noch mit ihren Freunden in der Kita gespielt. Jetzt sind außer ihr nur vier weitere Kinder zum Spielen im Gruppenraum. Nadine Glück erzählt im Interview, was ihre Tochter an der Notbetreuung „total blöd“ findet, und warum sie die Zeit dennoch genießt.

Interview: Lisa Martin, TPS-Redaktion
Bild: © Juanmonino/GettyImages

Als Ärztin in einer Allgemeinarztpraxis zählen Sie zu den Menschen mit einem systemrelevanten Beruf. Ihre dreijährige Tochter Mayla war deswegen von Anfang an in der Notbetreuung. Wie läuft die Organisation der Notbetreuung in Ihrer Kita?

Nadine Glück: Unsere Kita hat die Notbetreuung von Anfang an sehr gut umgesetzt. Als klar war, dass es eine Notbetreuung geben würde, hat die Leitung sofort reagiert und gleich für den Folgetag eine Gruppe eingerichtet. Auch die Mitarbeiterinnen haben das ganze Vorgehen umgehend unterstützt. Das war erstmal eine große Erleichterung für mich.

Was wissen Sie an der Notbetreuung in Ihrer Kita besonders zu schätzen?

Die große Flexibilität der Erzieherinnen. Gerade zu Beginn haben sich meine Arbeitszeiten stark geändert, und auch jetzt ergeben sich oft noch kurzfristige Änderungen. Es hilft mir enorm, dass ich jederzeit Kontakt mit der Kita aufnehmen kann, wenn sich beispielsweise die Abholzeiten ändern. Auch ganz allgemein bedeutet die Notbetreuung eine wahnsinnige Entlastung für mich. Meine Tochter ist nämlich eigentlich ein Ganztageskind, und ich hätte außerhalb der Kita keine Betreuung für sie gefunden.

Wie war die Umstellung auf die Notbetreuung für Mayla?

Die Umstellung war sehr schonend für die Kinder. Ausschlaggebend dafür war, dass sich die Bezugserzieherinnen bereit erklärt haben, auch weiterhin für die Kinder da zu sein. Außerdem konnte die Betreuung in den gewohnten Gruppenräumen stattfinden. Das war eine riesige Erleichterung für mich, denn ich hatte einige Bedenken, dass die Kinder eventuell in eine fremde Kita müssten. Zu Beginn war ja noch nicht klar, wie und wohin die Stadt die Notbetreuung verteilen würde. Dementsprechend fand ich es gut, dass die Kinder nicht einfach so verpflanzt wurden und sich nicht vollkommen neu eingewöhnen mussten.

Dennoch hat sich natürlich einiges für die Kinder verändert. Wie nimmt Ihre Tochter die Notbetreuung wahr?

Obwohl alle sich wahnsinnig viel Mühe geben, findet es meine Tochter total blöd, dass ihre Freunde momentan nicht in der Kita sind. Bis heute fragt sie eigentlich täglich, wo ihre Freundinnen sind und warum sie nicht in die Kita kommen. Zu Beginn kam erschwerend hinzu, dass nur fünf Kinder in der Notbetreuung waren – keines davon in ihrem Alter. Das hat sich glücklicherweise geändert. Inzwischen sind auch mehr Gleichaltrige wieder in der Kita. Auf diese Weise entwickeln sich ganz neue Freundschaften, was wiederum sehr schön ist.

Gibt es darüber hinaus auch verwirrende Situationen für Mayla?

Die Strukturen und Tagesabläufe in der Kita sind eigentlich gleichgeblieben. Es gibt aber auch neue Regelungen. Dazu zählen beispielsweise die Bring- und Abholsituationen, in denen neue Hygienemaßnahmen eingehalten werden müssen. Wenn ich Mayla mittags abhole, komme ich eigentlich immer vor den Gruppenraum und warte mit allen anderen Eltern auf mein Kind. Das geht momentan verständlicherweise nicht, und ich kann nur bis vor den Eingang kommen. Meine Tochter findet das sehr komisch und fragt sich: Warum kommt Mama nicht auf mich zu, und warum winkt sie mir nur vom Eingang her zu?

Gibt es Aspekte der Notbetreuung, die Ihrer Tochter wiederum sehr gut gefallen?

Obwohl Maja jeden Tag nachfragt, wann wieder neue Kinder in die Kita kommen, gefällt es ihr insgesamt ganz gut in der Notbetreuung. Sie genießt die 1:1-Betreuung der Erzieherinnen und ichfinde es sehr positiv, dass sie durch das veränderte Betreuungsverhältnis auch engen Kontakt zu Erzieherinnen aus anderen Gruppen hat. Davon wird sie auch in der Zukunft profitieren, nehme ich an. Was Mayla außerdem wahnsinnig gut gefällt, sind die vielen tollen Aktionen, die gerade stattfinden. Zum Beispiel haben die Erzieherinnen mit den Kindern ein Bilderbuchkino gestaltet und gemeinsam einen Kuchen gebacken.

Die Kita ist eigentlich kein stiller Ort, deswegen ist es wahrscheinlich gerade für die kleineren Kinder komisch, wenn fast keine Kinder mehr in die Einrichtung kommen. Hat ihre Tochter gleich verstanden, warum fast niemand mehr da ist?

Nein, es hat sehr lange gedauert, bis Mayla verstanden hat, was um sie herum passiert. Am Anfang dachte sieimmer, dass alle krank sind und im Bett liegen müssen. Obwohl sie immer noch alle wahnsinnig vermisst, versteht sie jetzt, dass die Kinder daheimbleiben müssen, um nicht krank zu werden.

Und versteht ihre Tochter auch, was „dieses Coronavirus“ ist?

Das Wort war tatsächlich ganz schnell in ihrem Wortschatz. Aber grundsätzlich ist es schwierig ihr zu erklären, was ein Virus ist, weil sie sich nichts darunter vorstellen kann. Wir versuchen ihr deswegen alles so bildhaft wie möglich zu erklären – jeden Tag. Dafür ist sie in der momentanen Situation aber auch relativ sorglos, was bei meinem neunjährigen Sohn anders ist. Er macht sich wesentlich mehr Sorgen und wir mussten ihm viele Ängste erst nehmen. Was Mayla dennoch schnell umgesetzt hat, sind die Hygieneregeln. Kinder in dem Altern sind da ja oft wie kleine Polizisten, und so schaut sie ganz genau, dass jeder sich an die Regeln hält.

Im Moment werden die Maßnahmen in Kitas wieder schrittweise gelockert. Sind Sie damit einverstanden oder wäre es Ihnen lieber, wenn die Notbetreuung so bleiben würde wie bisher?

Grundsätzlich habe ich wahnsinnigen Respekt für die Eltern, die ihre Kinder momentan daheim betreuen müssen. Ich kenne einige Eltern, die mit dem Homeoffice an ihre Grenzen stoßen und viele arbeiten sogar nachts, um alles zu schaffen. Ich finde es deswegen wichtig, dass die Notbetreuung gelockert wird. Das bedeutet aber, dass von jedem Einzelnen einiges an Eigenverantwortung gefordert ist. Wenn mein Kind beispielsweise grippeähnliche Symptome hat, muss es vom ersten Tag an zuhause bleiben. Dementsprechend sensibel müssen wir alle mit den Lockerungen umgehen und als Eltern daran mitarbeiten. Nur so kann die Kita mit den Lockerungen umgehen,und alle sind auch weiterhin geschützt.

Nadine Glück hat eine dreijährige Tochter und einen neunjährigen Sohn. Gemeinsam mit ihren Kindern und ihrem Ehemann, der als Ingenieur in der Medizintechnik ebenfalls in einem systemrelevanten Beruf arbeitet, lebt sie in Freiburg.

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