17.06.2020
Redaktion
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Jetzt sind Sie mal dran: Selbstfürsorge in der Krise – Hör auf dich selbst

Was braucht Max? Wie kann ich Elins Mutter helfen? Erzieherinnen denken zuerst an Kinder und Eltern, wenn es um die Bewältigung der aktuellen Krise geht. Warum es aber wichtig ist, dass Fachkräfte für sich selbst sorgen, und wie das gelingt, verraten unsere Autorinnen.

Gesprächspartner: Susanne Kühn und Michaele Gabel
Bild: ©Justin Lambert/GettyImages

Selbstfürsorge in der Krise

Susanne: Diese Corona-Zeit mit allen Ungewissheiten stellt unseren Alltag auf den Kopf. Auch die Fachkräfte in den Kitas stehen vor Aufgaben, für die es noch keine Lösungen gibt. Die Herausforderungen sind enorm. Hinzu kommt die Sorge um die eigene Gesundheit, um das Einkommen und die anvertrauten Menschenim Job. Ich überlege, was wir ihnen mitgeben können, damit sie ihre Aufgaben mit Ruhe und innerer Stabilität erfüllen können. Die Anforderungen sind ja gewaltig. Eltern, Kinder, Träger – alle wollen was

Michaele: Das sind Fragen, die ich mir auch stelle. Wir alle fragen uns: Wie lange dauert das? Was passiert mit uns? Wanngibtes wieder einen normalen Alltag? Die Fachkräfte, mit denen ich gesprochen habe, schwanken zwischen Tapferkeit, Wut und Trauer. Wir gehen ja alle sehr individuellmit Krisenum. Die einen reagieren mit größter Vorsicht. Andere sehen diese Situation als Herausforderung, die es zu bewältigen gilt. Wieder andere verharmlosen das Ganze. Alle Strategien sind auch in Kita-Teams vertreten, das kann zu Spannungen führen. In normalen Zeiten haben wir Strategien, um stressige Situationen zu bewältigen: Treffen mit Freunden, körperliche Nähe auch außerhalb der Familie, Feste feiern – das alles fällt im Moment weg. Also bleibt der Stress. Wenn der sich verdichtet, fühlen wir uns hilflos, ohnmächtig oder schlicht genervt. Und wir werden an frühere Traumatisierungen erinnert. Krisen triggern Krisen. Wir erleben eine Erschütterung unseres Selbst- und Weltbildes.

Susanne: Ich muss sagen: Das klingt jetzt aber alles sehr hoffnungslos. Du hast meine Einschätzung ja noch zugespitzt. Jetzt müssen wir darüber nachdenken, was dagegen hilft!

Michaele: Das stimmt. Erst haben wir geschaut, wo wir stehen, jetzt fragen wir:Was gibt uns Kraft? Wichtig ist, die eigenen Ressourcen wahrnehmen und wertschätzend das anschauen, was alles gut läuft. Viele Aktionen in der letzten Zeit liefen toll, von den Videobotschaften über die Ruhe für einzelne Kinder in der Notbetreuung! Oft hilft es schon, regelmäßig zu pausieren – vor allem wenn der Stress groß ist. Ein guter Tipp ist also, in Übergängen von einer zur anderen Tätigkeit kurz inne zu halten. Bewusst und tief zu atmen. Achtsam mit sich und anderen umzugehen. Das gilt für uns alle! Darüber hinaus können die persönlichen Anti-Stress-Strategien von Person zu Person sehr unterschiedlich sein. Für die einen ist Sport hilfreich, für eine andere ist es Lesen, und für wieder andere ist es ein Telefonat mit Freunden. Für alle ist aber das bewusste Herunterregeln des eigenen Perfektionismus von Bedeutung – denn Krisenzeiten sindkeine Zeiten, um perfekt zu funktionieren.

Susanne: Das klingt einfach. Es kann aber ziemlich schwer sein, im Stress innezuhalten und sich auf Positives und Stille zu besinnen. Fragen zur Selbstreflexion sind da sicher sinnvoll. Für sich selbst und für das Team.

Michaele: Ja. Ich habe eine solche Liste mit Fragen erstellt. Und in der Praxis damit auch schon gute Erfahrungen gemacht:

Fragen, die mir helfen, gut durch die Krise zu kommen
  1. Wie geht es mir? Welche Bewältigungsstrategien habe ich entwickelt?
  2. Welche Bedeutung gebe ich der aktuellen Situation? Welche Haltung habe ich dazu?
  3. Wie komme ich mit der Krise klar? Wie bin ich bislang damit klargekommen?
  4. Was definiere ich als Erfolg in dieser Zeit? Was ist mir oder uns im Team gut gelungen?
  5. Gibt es etwas, das ich als etwas Positives in die Zeit nach Corona mitnehmen will?
  6. Welche Ressourcen habe ich entdeckt? Und wo ist es gut, nochmal hinzuschauen?
  7. Was fehlt mir im Moment? Was möchte ich auf jeden Fall zurück haben?
  8. Gibt es andere aktuelle Belastungen, die nicht mit Corona zusammenhängen?
  9. Wie geht es mir als Erzieherin mit einem beruflichen Alltag ohne Kinder?
  10. Wie geht es mir damit, gerade nicht das tun zu können, was ich liebe?
  11. Gehöre ich einer Gruppe mit Risikofaktoren an? Worauf muss ich achten?
  12. Wie gehe ich mit Kolleginnen und Kollegen um, die Risikofaktoren haben?

Susanne: Das sind tolle Fragen. Damit können wir hilfreiche, zu uns passende Strategien finden, um Zeiten für Achtsamkeit und Entspannung einzuplanen. Für die einen mögen es Spaziergänge am Abend sein, für die anderen Gespräche mit Vertrauten. Ich halte es auch für wichtig, sich Verbündete zu suchen und sich auszutauschen.

Michaele: Ich weiß aus dem Umgang mit traumarelevantem Stress, dass es hilfreich ist, Aktivitäten mit Sinn zu entwickeln, um ins Handeln kommen. Das kann die Zubereitung einer besonderen Mahlzeit sein oder das Anlegen eines Beetes. Es bedeutet, Ideen zu entwickeln und sich zu erlauben, sich neu zu erleben. Was mache ich, wenn ich viel mehr Zeit habe, weil mein Arbeitsweg wegfällt, weil alles geputzt und aufgeräumt ist? Die Zeit kann ich nutzen, um Dinge zu tun, die ich bislang verschoben habe. Das ist kraftvoller, als pausenlos an das Virus, seine Folgen und den zukünftigen Kita-Alltag zu denken. Das heißt: eine resilienzfördernde Gegenbewegung unternehmen. Dazu gibt es Empfehlungen aus der Trauma-Therapie:

Tipps, um in der eigenen Mitte zu bleiben
  1. Rege dich nicht auf, beschwere dich nicht. Bleib in der Ruhe, geh nach innen, hör in dich.
  2. Konzentriere dich auf Dinge, die du beeinflussen kannst.
  3. Lerne zu unterscheiden: Welche Information ist hilfreich und tut gut – und welche nicht.
  4. Übe dich in Informationsdefiziten. Sprich nur begrenzt und nur mit Mehrwert über die vermeintlichen Fakten.
  5. Sorge regelmäßig für ausreichend körperliche Bewegung.
  6. Besinne dich auf Dinge, die dir guttun.
  7. Pflege wohltuende Kontakte.
  8. Setze dich für einen erholsamen Schlaf ein.
  9. Sei der Angst ein Gegenüber. Betrachte sie als normale Stressreaktion.
  10. Aktiviere deine Strategien zur Selbstberuhigung.
  11. Mobilisiere deine Veränderungsbereitschaft.
  12. Orientiere dich im Hier und Jetzt mit Dingen und Gedanken, die frei von Corona sind.
  13. Vertraue auf deine Ressourcen.
  14. Atme achtsam und bewusst.
  15. Sei milde mit dir selbst.

Susanne: Das sind wunderbare Empfehlungen, um Stärke, Stabilität und Zuversicht zu erhalten. Also geht es darum, mich zuerst zu vergewissern, was da gerade in mir passiert und dann fürsorglich mit mir selbst umzugehen. Selbstfürsorge. Eines mache ich auf jeden Fall: Ich plane viel Corona-freie Zeit ein und dosiere die Nachrichten. Das hilft mir sehr. Was mir allerdings schwer fällt: inne zu halten und mir selbst zu zuhören. Ich erschrecke dann über mein bebendes Herz und meine Angst, die rumort. Ich fürchte dann, dass alte Erinnerungen und schlechte Gefühle wieder hochkommen.

Michaele: Das ist sehr nachvollziehbar, so geht es uns allen. Aber reines Funktionieren im Sinne von „Augen zu und durch“ entspricht nicht dem pädagogischen Auftrag. Vielleicht entspricht es dir und vielen pädagogischen Fachkräften mehr, zwischendurch kreativ, fröhlich und für Momente unbeschwert zu sein. Dann könnt ihr Corona-freie Zeiten einplanen und alles dafür tun, dass sich die Kinder in der erweiterten Notbetreuung oder im eingeschränkten Regelbetrieb so fühlen, als gäbe es kein Corona und keine Krise. Für mache ist es auch gut, sich den praktischen Aufgaben zu stellen: Infektionsschutz, Hygieneregeln, Dienstpläne. Wenn wir uns für das Wahrnehmen und Ausloten der Befindlichkeiten und Anforderungen die Zeit nehmen, kommen wir besser durch die Krise.

Susanne: Das sind Impulse, die Mut machen. Ich danke dir. Da werde ich jetzt in Ruhe schauen, was mir hilft. Denn ich kann und muss ja nicht alles umsetzen. Jede Person wird für sich das Richtige finden, um weiter zu denken und zu arbeiten.

Michaele: Ja, Impulse, die Mut machen, kann ich entwickeln, wenn ich eine inspirierende Gesprächspartnerin habe. Das können wir den Fachkräften und den Leitungen empfehlen: sich mit Kolleginnen und Kollegen auszutauschen, um in dieser außergewöhnlichen Zeit stabil zu bleiben und gemeinsam weiter zu kommen. Vielen Dank auch dir!

Susanne Kühn ist freiberufliche Fortbildungsreferentin und Coach und lebt in Rosdorf in Schleswig-Holstein. www.susanne-kuehn.de

Michaele Gabel ist Fortbildnerin, Supervisorin und Coach und lebt in Idstein in Hessen. www.lebenimaufwind.de

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