25.07.2019
Herbert Vogt
GettyImages / Dimitri Otis

„Wir wissen doch noch gar nicht, wie das entschieden werden soll!“ – Teamarbeit

Oft führen Unklarheiten im Team dazu, dass wichtige Entscheidungen blockiert werden. Wann müssen alle zustimmen, wann reicht die einfache Mehrheit oder gar das Los? Sogenannte Meta-Regeln können hier weiterhelfen.

Text: Herbert Vogt, Bild: GettyImages / Dimitri Otis

Fallbeispiel


In der Kita Kunterbunt diskutiert das Team seit langer Zeit über einen einschneidenden pädagogischen Schritt: Der Betrieb soll von klassischer gruppenbezogener Arbeit auf offene Gruppen mit Funktionsräumen umgestellt wer- den. Die pädagogischen Fachkräfte haben sich viel Zeit ge- nommen, die Bedingungen, die Umstände und den veränderten Personaleinsatz zu klären, um die Umstellung sicher bewältigen zu können. Nun findet die Teamsitzung statt, an deren Ende die Entscheidung für den Einstieg in die offene Arbeit getroffen werden soll.

Nicht alle sind überzeugt, vor allem Melanie und Sarah plädieren für die Beibehaltung des Ist-Standes. „Dann müssen wir halt eine Mehrheitsentscheidung treffen, damit wir endlich vorankommen“, meint Svenja, „die meisten von uns sind sowieso da für.“ Melanie entgegnet: „Eine so wichtige Weichenstellung muss unbedingt im Konsens getroffen werden. Außerdem ist Lisa heute nicht da, aber es sollten ja wohl alle mit abstimmen.“ Kathrin, die Leiterin, fragt in die Runde: „Wie sollen wir denn nun entscheiden?“ Das Team fühlt sich blockiert und ratlos.

Wer spielt mit?
Erzieherin Svenja: Sie steht für die Teammitglieder, die pädagogische Vorteile betonen, wenn Kinder Aktivitäten und Räume frei wählen können. Sie wollen den Öffnungsprozess vorantreiben und können sich gut vorstellen, für abgesprochene Zeiten in den geplanten Funktionsräumen zu arbeiten.


Erzieherinnen Melanie und Sarah: Die beiden sind von der geplanten offenen Arbeit nicht überzeugt. Sie finden die Zuständigkeit für ihre Kindergruppe und die Gestaltungsmöglichkeiten im angestammten Gruppenraum nach wie vor attraktiv.


Leiterin Kathrin: Sie hat das Einverständnis des Trägers eingeholt, die bisherige Auseinandersetzung im Team moderiert und erwartete am Ende eine klare Teamentscheidung. Die scheinbar unauflösliche Entscheidungssituation stellt sie vor ein Dilemma. Das Team war bisher stillschweigend davon ausgegangen, dass sich ein Konsens schon einstellen wird, ist nun verwirrt und weiß keinen Ausweg.

„Wir wissen doch noch gar nicht, wie das entschieden werden soll!“ – über Entscheidungen im Team | in der TPS

Zum Reflektieren


Eine Entscheidungsblockade, die im Team oft als Kuddelmuddel erlebt wird, rührt daher, dass es keine Klarheit und Vereinbarung darüber gibt, welche Entscheidungsformen in welchen Fragen gelten sollen. Alle spüren, dass es hier um eine Entscheidung von großer Tragweite geht, also möglichst alle zustimmen sollten. Ohne diesen Konsens, etwa durch eine Mehrheitsentscheidung, wird man auf Dauer Widerstand und Demotivation der Minderheit zu spüren bekommen. Andererseits kommt man ohne Entscheidung überhaupt nicht weiter. In solchen Situationen stellt sich die Frage sogenannter Meta-Regeln. Das sind Regeln, die bestimmen, welche Entscheidungsform oder Verfahrensweise in welchem Zusammenhang die angestrebte sein soll.

Meta-Regeln festlegen

Ein Beispiel aus dem pädagogischen Alltag: Es mag Regeln der Art geben, wie viele Kinder ohne Aufsicht im Bewegungsraum spielen dürfen, was sie draußen anziehen oder ob sie beim Essen von allem probieren müssen. Diese bestimmen etwas unmittelbar; man nennt sie Regeln erster Ordnung. Sie sind im Kita­-Alltag meist zahlreich. Nun könnte sich ein Team mit dem zu geltenden Regelwerk als solchem beschäftigen und zu dem Schluss kommen, so wenige Regeln wie möglich aufzustellen und die Dinge lieber in den aktuellen Situationen individuell zu klären. Dies – so wenige wie möglich – wäre dann eine sogenannte Meta­-Regel, also eine Regel zweiter Ordnung, die die Regelfindung erster Ordnung regelt. Ohne Klarheit bei den Meta­-Regeln kann es keine Klarheit bei den Regeln erster Ordnung geben. Das Team der Kita Kunterbunt hätte daher vor der Auseinandersetzung um die Öffnung der Arbeit festlegen müssen, mit welcher Entscheidungsform die Umstellung am Ende beschlossen wird.

Auf Lösungssuche

Wichtig ist hier erst einmal, das Dilemma überhaupt zu erkennen: Das Kuddelmuddel der Entscheidungsblockade rührt nicht etwa aus der Unfähigkeit oder dem Unwillen der Fachkräfte, klare Entscheidungswege zu beschreiten, sondern ist strukturell angelegt. Es hilft daher, zwischen Regeln erster und Regeln zweiter Ordnung unterscheiden zu lernen. Außerdem hilft es, die bisherige Entscheidungskultur zu reflektieren: Wie werden im Team Entscheidungen vorbereitet und getragen? Was ist die Funktion von Regeldiskussionen? Welche (Werte­)-Konflikte liegen möglicherweise dahinter? Wer verfolgt welche Ziele? Vorbehalte und Bedenken von Teammitgliedern geben hier Auskunft über mögliche Nachteile und Hindernisse des Vorhabens. Sie ernst zu nehmen, schützt vor übereilten Schritten.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist, frühzeitig die Entscheidungsform festzulegen und Standpunkte sichtbar zu machen: Wenn zu Beginn eines Veränderungsprozesses, Projektes oder Vorhabens geklärt wird, in welcher Form schließlich vereinbart wird, was erreicht und getan werden soll, kann viel Lähmung und Motivationsverlust vermieden werden.

Entscheidungsformen


- Konsens: Alle stimmen zu (möglicherweise nicht jeder mit voller Überzeugung).
- Mehrheitsentscheidung: einfache Mehrheit, absolute Mehrheit, Zweidrittelmehrheit
- Minderheitsentscheidung: Eine „Avantgarde“ darf über eine Frage entscheiden, weil sie sich in der Sache gut auskennt oder etwas ausprobieren will.
- Leitungsentscheidung
- Jeder entscheidet für sich.
- Losentscheid
Alle Entscheidungsformen haben Vor­ und Nachteile und sollten in Bezug auf das jeweils anstehende Thema sinnvoll gewählt werden.

Ist eine Klärung der Entscheidungsform aktuell nicht möglich, kann es sinnvoll sein, die Sache zu überschlafen, die Auseinandersetzung also vorübergehend einzustellen und nach einer Bedenkzeit wieder aufzugreifen. In manchen Fragen ist es auch möglich, dass ein Vorhaben nur für einen Teil des Teams oder der Kita umgesetzt wird – eine nachträgliche Beteiligung aller sollte dabei nicht ausgeschlossen werden.

Falls die Anwesenheit aller Teammitglieder für eine Entscheidung für unverzichtbar gehalten wird, aber jemand fehlt, kann das Team zunächst ein Meinungsbild als Orientierung erstellen und die endgültige Entscheidung später treffen. Sollte es nicht gelingen, eine Meta­-Regel zu vereinbaren, also auch auf dieser Ebene kein Einverständnis herrscht, kann die Leitung die Entscheidungsform bestimmen, das Team eine Mehrheitsentscheidung für einen befristen Zeitraum treffen, um sie dann zu überprüfen und gegebenenfalls zu revidieren.

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