12.03.2021
Lisa Martin, TPS Redaktion

Wiedereingewöhnung 2.0: Ein emotionaler Kraftakt

In vielen Bundesländern haben die Kitas wieder geöffnet – aber nicht alle Kinder freuen sich darüber. So wie die vierjährige Mia. Im Interview blickt ihre Mutter Eva Hahn* auf die Wiedereingewöhnung ihrer Tochter nach dem ersten Lockdown im vergangenen Jahr zurück und formuliert, was sie sich von den Erzieherinnen wünscht.

Frau Hahn, bevor wir über die Wiedereingewöhnung Ihrer Tochter in die Kita sprechen, können Sie uns kurz verraten, wie die Eingewöhnung von Mia in die Krippe vor circa zweieinhalb Jahren verlief?

Eva Hahn: Die Eingewöhnung verlief sehr sanft. Dafür waren mehrere Faktoren ausschlaggebend. Entscheidend war erstmal, dass nur drei Kinder die Krippe besuchten, weil die Gruppe gerade erst neu gegründet worden war. So konnten die Erzieherinnen auf jedes Kind einzeln eingehen. Das war also alles sehr beschaulich und genau richtig für Mia, die damals zwei Jahre alt war. Die Eingewöhnung dauerte außerdem drei Monate und ich war beinahe über den gesamten Prozess vor Ort dabei. Das ist äußerst ungewöhnlich und ich bin den Erzieherinnen sehr dankbar, dass sie das mitgetragen haben.

Ist Mia im Anschluss an diese intensive Eingewöhnungsphase auch gerne in die Krippe gegangen?

Ja, sie hat sich dort sehr wohlgefühlt und hat oft schon am Wochenende gefragt, wann sie wieder in die Krippe gehen darf. Das hat mir als Mutter ein sehr gutes Gefühl gegeben und ich war immer entspannt, wenn Mia dort war. Während der Eingewöhnung war ich nämlich etwas unsicher und hätte mir in dieser Situation auch mehr emotionale Unterstützung von den Erzieherinnen gewünscht. Aber das Team war selbst neu im Krippen-Bereich und konnte mir deshalb nur wenig Sicherheit geben. Es fehlte einfach noch die Erfahrung. Umso positiver fand ich, dass meine Grenzen während der Eingewöhnung respektiert wurden. Ich musste kein schreiendes Kind in der Krippe zurücklassen, sondern durfte wie gesagt sehr lange bei der Eingewöhnung dabei sein. Das war sehr schön.

Hat sich an dieser Situation grundlegend etwas verändert, als Mia mit drei Jahren von der Krippe in die Kita eingewöhnt wurde?

Definitiv. In der Kita war Mia plötzlich mit 20 Kindern in einer Gruppe und eine 1:1-Betreuung, wie sie es aus der Krippe kannte, war natürlich nicht mehr möglich. Das und dazu noch der Lärm und der Trubel – das war ein Kulturschock für Mia. Am Nachmittag war sie immer sehr gestresst, weil der Vormittag in der Kita sie viel Kraft gekostet hat. Ich selbst musste mich auch erst daran gewöhnen, nicht live bei der Eingewöhnung dabei zu sein, musste mich auf die Berichte der Erzieherinnen zu verlassen. Dafür braucht es viel Vertrauen.

Sie haben kurz angedeutet, dass Mia immer gestresst war, wenn sie damals von der Kita-Eingewöhnung nach Hause gekommen ist, können Sie das näher erläutern?

Ich konnte nach der Kita immer sehr viele Emotionen bei meiner Tochter beobachten: Sie war geschafft, müde, Wutausbrüche haben zugenommen und meistens hat sie den ganzen Nachmittag zur Regeneration gebraucht (zu der Zeit war Mia von 9 Uhr bis 12.30 Uhr in der Kita, Anm. d. Redaktion). Sie reagiert sehr sensibel auf einen hohen Lärmpegel und zu viele Menschen. Und auch die Trennung von mir war oft sehr anstrengend für sie.

War Mia nur in dieser Zeit so gestresst oder besuchte sie die Kita auch nach der Eingewöhnung nicht gern?

Bevor die Kita 2020 wegen Corona schließen musste, ging Mia anderthalb Jahre dorthin und zwar tatsächlich nicht sehr gern. Ich habe sie dennoch hingebracht, denn wenn sie erst einmal dort war, ist sie ja auch aufgeblüht und hat mit Spaß an den Aktivitäten teilgenommen. Freiwillig wäre sie aber nie in die Kita gegangen. Deswegen war jeder Morgen ein Kraftakt. Ebenso schwer war es, morgens den Abschied von mir und den Übergang in die Gruppe zu gestalten, denn Mia braucht dabei viel Zuwendung, Zeit und Rituale. Aber wie sollen sich die Erzieherinnen auf ein Kind fokussieren, wenn sie sich zugleich noch um 19 andere Kinder kümmern müssen?

Die Corona-bedingte Schließungen müssen für Mia dann wohl die perfekte Auszeit gewesen sein.

Ja, sie war sehr froh, als sie daheim sein durfte. Sie hat nichts vermisst und war viel ausgeglichener. Nach den Schließungen vergangenes Jahr haben wir Mia dennoch wieder für drei Vormittage in der Kita angemeldet. Ich bin berufstätig und das war zunächst der beste Kompromiss für mich, um Zeit für die Arbeit zu haben.

Sie haben sich nach der Schließung 2020 also dazu entschlossen, Ihre Tochter im September doch wieder in die Kita einzugewöhnen. Wie sah das aus?

In unserer Kita fand eine Art Peer-Eingewöhnung statt, die für mehrere Tage angelegt war. Das war damals die einzige Möglichkeit, damit die Eltern dabei sein konnten. Während der ersten Woche durften wir uns nachmittags gemeinsam mit unseren Kindern im Garten aufhalten, mussten allerdings Masken tragen. In der zweiten Woche sollten die Kinder schon allein am normalen Gruppenalltag teilnehmen, während die Eltern nur noch im Hintergrund im Nebenzimmer bereit saßen, falls etwas sein sollte. In der Mitte der dritten Woche sollten sich die Eltern dann ganz verabschieden. Das ist natürlich eine sehr kurze Zeit, um anzukommen und wieder eine Beziehung zu den Erzieherinnen aufzubauen. Dementsprechend hatte ich mich auf einen emotionalen Kraftakt eingestellt.

Wie viel Zeit sollte Mia danach eigentlich in der Kita verbringen und wie funktionierte die Wiedereingewöhnung?

Geplant war zunächst, dass Mia wieder zwei bis drei Vormittage in der Kita verbringt. Gegen alle Widerstände wollte ich das aber nicht durchsetzen. Sie war dann auch nur einen Vormittag wieder in der Kita – dann wurde sie direkt krank. An diesem ersten Tag hat die Wiedereingewöhnung gut funktioniert. Was vor allem daran lag, dass ich die ganze Zeit über dabei war. Es war aber klar: Die Mama darf nicht gehen.

Auch jetzt, nach dem zweiten Lockdown, gibt es wieder eine Eingewöhnung. Welche Erwartungen haben Sie grundsätzlich an Erzieherinnen während einer solchen Phase?

Ich wünsche mir, dass die Wiedereingewöhnung genauso ernstgenommen wird wie eine Eingewöhnung. Hoffentlich sind meine Erwartungen an die Fachkräfte nicht zu hoch, denn ich weiß ja, wie schwer es ist, in einer großen Gruppe alle Dinge unter einen Hut zu bringen – erst recht in Zeiten von Corona. Aber eigentlich sollte jedes Kind dort abgeholt werden, wo es gerade steht. Es ist nicht hilfreich, wenn es einen Plan gibt, der strikt für alle Kinder gilt. Klar, viele Kinder gehen gern wieder in die Kita, aber eben nicht alle. Grundsätzlich sollte einfach darauf geachtet werden, dass es Kinder gibt, die mehr Zeit benötigen, und für die sollte es individuelle Lösungen geben – und auch für deren Familien.

Finden Sie, dass es Unterschiede zwischen der Eingewöhnung und der Wiedereingewöhnung gibt?

Ja. In der Wiedereingewöhnung nach einer Corona-bedingten Schließung ist es natürlich von Vorteil, dass die Kinder die Kita schon kennen. Sie kennen die Abläufe, die Räume und auch die Fachkräfte. Sie müssen also nicht alles neu kennenlernen. Deshalb wird wahrscheinlich auch manchmal unterschätzt, dass es Kinder gibt, denen es trotzdem schwerfällt, wieder in der Kita anzukommen und die mehr Zuwendung und Entgegenkommen benötigen.

Warum wäre eine intensivere Wiedereingewöhnungsphase auch für Sie als Mutter wichtig gewesen?

Bei uns in der Kita wurden nach den Schließungen fünf Kinder gleichzeitig eingewöhnt. Da war es für die Erzieherinnen schwer, für alle Kinder einen individuellen Weg zu finden. Für mich als Mutter wäre eine intensivere Wiedereingewöhnung aber wichtig gewesen, um mehr Sicherheit zu bekommen. Denn diese Sicherheit und Zuversicht muss ich für meine Tochter ausstrahlen und an sie weitergeben können. Kinder haben so feine Antennen. Sie merken sofort, wenn Eltern Ängste haben. Deswegen wünsche ich mir, dass auch die Bedenken und Sorgen der Eltern ernstgenommen werden.

Können Eltern etwas beitragen, dass die Wiedereingewöhnung bestmöglich gelingt?

Definitiv. Ich persönlich habe mich ständig gefragt: Was braucht Mia? Immerhin bin ich ihr Sprachrohr in der Kita. Dementsprechend forderte ich Gespräche mit den Erzieherinnen aktiv ein und war immer wieder in Kontakt mit der Kita, um gemeinsam die Trennungssituation zu gestalten. Darüber hinaus habe ich mir Abschiedsrituale überlegt und während der Corona-bedingten Schließungen das Portfolio zu uns nach Hause geholt. Das haben wir dann gemeinsam angeschaut und über die Kita gesprochen. So habe ich versucht, Mia wieder positiv auf die Kita einzustimmen. Außerdem musste ich viel Kraft und Stärke für mich selbst sammeln, damit ich die Gefühle meines Kindes gut begleiten konnte.

Was hat die Kita während der Schließungen dafür getan, dass der Wiedereinstieg für die Kinder so sanft wie möglich verlaufen kann?

Unsere Kita war während des ersten und zweiten Lockdowns sehr engagiert, was ich toll fand. Die Erzieherinnen haben Videos gedreht, in denen sie vorgelesen haben, sie haben Bastelkisten für die Familien vor die Tür gestellt und Briefe an die Kinder geschrieben. So war der Abstand zwischen der Einrichtung und den Kindern nicht so groß.

Eva Hahn ist 40 Jahre alt und lebt mit ihrem Mann und ihrer Tochter Mia in Süddeutschland.
*Die Namen unserer Interviewpartnerin und ihrer Tochter wurden von der Redaktion geändert. Die richtigen Namen sind der Redaktion bekannt

Ihnen hat der Artikel "Wiedereingewöhnung 2.0" gefallen? Weitere Tipps, Wissenswertes und Ideen finden Sie in unserer Fachzeitschrift TPS. Hier bestellen!

Diese Produkte könnten Ihnen auch gefallen:

Bitte warten Sie einen Moment.