23.12.2020
Dorothee Schöpfer, Annette Gallmann

Humor hilft – und wie!

Annette Gallmann erzählt, wie eine „herzliche Pädagogik“ in der Kita gelebt werden kann.

Eine herzliche Pädagogik ist für Annette Gallmann ohne Fröhlichkeit undenkbar. Die stellvertretende Leiterin der Kita Zauberwald in Oberursel weiß aber auch: Eine Pädagogik mit Herz ist nur möglich, wenn man sich zuvor intensiv mit der eigenen Kindheit auseinandergesetzt hat. Im Gespräch mit Dorothee Schöpfer erklärt sie, warum man als Leiterin keine Strahlefrau sein muss, aber Mut zur Ehrlichkeit besitzen sollte und was Kinder davon haben, wenn Fachkräfte sich necken.

Frau Gallmann, haben Sie heute schon herzlich gelacht?

Ja! Ich habe mir vor der Arbeit einen lustigen Podcast angehört. Denn es ist mir wichtig, dass ich gute Laune in die Einrichtung mitbringe. Und dann hat eine Kollegin etwas Witziges vom Wochenende erzählt, das mich zum Lachen gebracht hat. Wir haben uns heute schon gut getragen im Lachen, weil es in dieser verrückten Corona-Zeit so viel aufzufangen gibt. Wir sind laufend gefordert, unsere Pläne zu ändern. Was heute gilt, wird morgen schon wieder über den Haufen geworfen. Dafür braucht es viel Humor: Um nicht dauernd zu schimpfen, sondern auch mal laut über den Irrsinn zu lachen.

Humor ist also ein Ventil?

Für mich bedeutet Humor die Kunst, sich selbst nicht zu ernst zu nehmen, auch wenn man sich ärgert. Mit Humor kann ich mich gut wieder herunterbringen. Es ist wichtig, dass in einer Kita viel gelacht wird. Das mögen auch die Kinder. Sie beobachten auch sehr gerne, wie sich die Fachkräfte gegenseitig necken.

Für diese Form des herzlichen Umgangs unter den Kollegen haben Kinder Antennen?

Ja. Was ist Ernst und was ist Spaß – das möchten Kinder erkennen. Sie erfahren, wie wohltuend und befreiend es ist, miteinander zu lachen und wie kränkend und doof es sein kann, über einander zu lachen. Das ist aber ein Lernprozess, der sich lang hinzieht und bei dem sie die Unterstützung der Erwachsenen brauchen. Deren Aufgabe ist es, zu begleiten, zu kommentieren und auch zu spiegeln, was ein Scherz auf Kosten eines anderen Kindes bei diesem auslöst: „Merkst du das, dass das nicht so gut ist, was du gerade sagst? Schau dem anderen mal ins Gesicht, was das mit ihm macht.“ Fachkräfte sind Begleiterinnen, um die Empathie der Kinder zu stärken, sie zu sensibilisieren.

 

Empathie gehört zur Herzensbildung dazu.

Ja. Allerdings: Es ist auch wichtig, gut für sich selbst zu sorgen. Sich immer nur einzufühlen und zu schauen, dass es dem anderen gut geht, ist möglicherweise kontraproduktiv für mein eigenes Wohlbefinden. Auch das muss man einem Kind vorleben: „Ich darf meine Gefühle wahrnehmen und benennen und ich darf ‚nein‘ sagen, wenn ich etwas nicht will.“

Was verstehen Sie unter einer „herzlichen Pädagogik“?

Ganz einfach: Eine Pädagogik mit Herz. Herzensbildung setzt voraus, dass ich mit mir im Reinen bin, dass ich mich als lebensbejahenden, freundlichen Menschen wahrnehme, der Interesse an anderen hat – seien es Kinder oder Erwachsene. Um eine Pädagogin mit Herz sein zu können, ist es wichtig, meine Vergangenheit und Kindheit soweit geklärt zu haben, dass sie mir nicht im Weg steht und ich nicht vorschnell mit Mutmaßungen oder Unterstellungen agiere. Zu einer herzlichen Pädagogik gehört auch, dass ich wohlwollend davon ausgehe, dass mein Gegenüber Gutes im Sinn hat.

Herzlichkeit ist demnach eine Frage der Haltung?

Die eigene Stimmung und die eigene Haltung wirken sich auf das Umfeld aus. Es macht einen Riesenunterschied, ob ich gut gelaunt in die Kita komme und alle freundlich lächelnd begrüße oder ob ich sorgenvoll ankomme und mit meinen Gedanken schon im nächsten schwierigen Gespräch mit Träger oder Eltern hänge und eigentlich gar nicht „da“ bin.

Aber man kommt ja nicht immer froh zur Arbeit.

Das ist richtig. Deshalb muss ich so reflektiert sein, dass ich sagen kann: „Ich komme heute eventuell komisch rüber, aber das hat nichts mit dir zu tun.“

Ehrlichkeit hilft also?

Ja, Leitungen müssen ehrlich und authentisch sein. Immer nur als Strahlefrau durch die Einrichtung zu rennen und alle narrisch zu machen mit einem Dauergrinsen ? das ist nicht gemeint. Aber es ist notwendig, sich selbst so im Griff zu haben, dass man nicht das, was einem gerade quer liegt, an anderen auslässt.

Also braucht es Selbstreflexion, um Herzlichkeit leben zu können?

Ja – und Fehlerfreundlichkeit. Sich selbst und anderen gegenüber. Es ist wichtig, über Fehler auch mal lachen zu können und sie nicht allzu hoch zu hängen. Fehler sind menschlich. Diese Fehlerfreundlichkeit wirkt sich auch auf einen positiveren Umgang der Kolleginnen und Kollegen mit den Kindern aus.

Und zwar wie?

Kinder, die erleben, dass Fehler machen normal ist und Erwachsene fröhlich miteinander umgehen, können selbst auch fröhlich spielen, weil die Atmosphäre entspannt ist. Dann haben sie den Raum, sich um sich selbst zu kümmern. Kinder, die erleben, dass es knistert, sorgen sich um die Spannung, die in der Luft liegt – und nicht um sich. Wenn sie auch zu Hause häufig Spannungen erleben, sind sie umso mehr in Habachtstellung. Wenn Kinder den Eindruck haben, dass die Erwachsenen nur noch mit sich beschäftigt sind, machen sie Unsinn – damit sie überhaupt gesehen werden.

Wie können Kinder unterstützt werden, Herzensbildung zu erlernen?

Sie lernen vor allem von den Erwachsenen als Vorbildern. Am liebsten schauen sich Kinder natürlich von demjenigen etwas ab, den sie mögen.

Setzen Sie in Ihrer Einrichtung auf das Konzept der gewaltfreien Kommunikation?

Einige unserer Mitarbeiterinnen haben dieses Thema für sich entdeckt. Aber vor allem bemühen wir uns, als Erwachsene vorbildhaft zu kommunizieren.

Das heißt, …

…dass wir im Alltag achtungsvoll, achtsam und wertschätzend miteinander sprechen. Wir lassen uns ausreden und hören einander aktiv zu. Wir geben in Konfliktgesprächen erst einmal wieder, was wir gehört haben: „Liege ich richtig damit, dass du dies so meinst?“ Auch für die Zusammenarbeit mit Eltern ist es wichtig, schwierige Sachverhalte angemessen und wertschätzend darstellen zu können. Humor spielt dabei auch eine Rolle: Die Eltern sind mit im Boot, wenn man mit einem heiteren Spruch ein Gespräch eröffnet und so eine gute Atmosphäre schafft. Das können erfahrene Kolleginnen in der Regel besser. Deshalb ist es uns ein Anliegen, dass jüngere Kolleginnen in der Ausbildung bei solchen Gesprächen dabei sein können. 

Haben Sie Tipps, wie sich eine fröhlich- herzliche Grundstimmung in der Kita etabliert?

Man kann sich zum Beispiel in der Kita ein bestimmtes Zeitfenster für Schimpftiraden einräumen. Da macht man seinem Ärger kurz Luft, um danach wieder in eine andere Stimmung zu kommen. Schwierig wird es, wenn eine Kultur des gegenseitigen Sich-Beklagens überhandnimmt und das Gefühl entsteht: „Ich werde nur wahrgenommen, wenn ich mich beschwere.“ Deshalb ist es als Leitung wichtig, den Ärger schnell und pragmatisch zu beheben und den Fokus auf das zu richten, was gelingt. Ein weiterer Tipp: In unserer Einrichtung führen wir das jährliche Mitarbeiterentwicklungsgespräch nicht an einem Tisch, sondern bei einem Spaziergang. Das hat sich sehr bewährt. Im Laufen redet es sich freier und leichter. Wir starten in der Kita und enden nach zwei Stunden bei einem Stück Kuchen in einem Café. Wir sind ein großes Haus mit über 40 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen. Entsprechend schwierig ist es als Leitung, im Alltag allen gerecht zu werden. So ist dieses Jahresgespräch eine Möglichkeit, sich intensiv und aufmerksam einer Kollegin zuzuwenden – aus ganzem Herzen.

Zur Person:

In der Kita Zauberwald in Oberursel werden 180 Kinder ab einem Jahr bis zu 11 Jahren in Krippe, Kindergarten und Hort betreut. Annette Gallmann ist stellvertretende Leiterin und wohnt ganz in der der Nähe. „Als mir während der Schließzeit zu Corona- Zeiten immer wieder Kinder vom Spielplatz aus gewunken und ‚hallo Annette‘ gerufen haben, da ging mir das Herz auf“, erzählt die 60-Jährige. Gallmann ist ausgebildete Gymnasiallehrerin, Mutter von drei Töchtern und begeisterte Großmutter. In der Kita Zauberwald war sie als Elternbeiratsvorsitzende aktiv, bevor sie 2001 als Fachkraft eingestiegen ist und den Hort mit aufgebaut hat. Nebenberuflich arbeitet Anette Gallmann als Fortbildnerin für das Netzwerk Intergrale Lernkultur-Entwicklung ILKE. Sie hat zudem eine Ausbildung als NLP-Trainerin und als Entspannungspädagogin.

Annette Gallmann ist stellvertretende Leiterin der Kita Zauberwald in Oberursel (Taunus)
annette.gallmann@oberursel.de
www.zauberwald-oberursel.de

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