02.07.2019
Helen Knauf
maximkabb // GettyImages

Digitale Medien in der Kita – Sinnvoller Umgang mit hilfreichen Werkzeugen

Digitale Medien sollten in der Kita integraler Bestandteil des pädagogischen Alltagshandelns sein – mit dem Fokus auf einer bildungsorientierten und kreativen Nutzung. Gleichzeitig sollte auch medienpädagogische Arbeit stattfinden, anknüpfend an mediale Erfahrungen in der Kita und zu Hause.

Die Nutzung von digitalen Medien durch Kinder wird in der öffentlichen Diskussion oft negativ bewertet. Ein hoher Fernsehkonsum oder das lange Spiel mit dem Smartphone oder einer Konsole werden oftmals als Ursache für bestimmte problematische Entwicklungen von Kindern gesehen. Verschiedentlich wies die empirische Forschung einen Zusammenhang zwischen hohem Medienkonsum und schlechten Schulleistungen (Pfeiffer et al. 2007) sowie der Entwicklung von Hyperaktivität/ADHS nach (Christakis et al. 2004; Riedel und Büsching 2017). Diese Analysen korrespondieren mit den Alltagsbeobachtungen pädagogischer Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen: Sie erleben Kinder, von denen sie wissen, dass sie digitale Medien häufig nutzen, oft als unausgeglichen und aggressiv und beobachten Defizite bei deren motorischer oder sprachlicher Entwicklung (Friedrichs-Liesenkötter 2016; Six und Gimmler 2007). Viele Eltern wiederum sehen insbesondere das Internet als einen potenziellen Ort der Gefahr; so stimmen 86 Prozent der Eltern von Kindern unter fünf Jahren der Aussage „Das Internet ist für Kinder gefährlich“ voll und ganz oder überwiegend zu (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2015).

Omnipräsenz von digitalen Medien – auch für Kinder

Zugleich zeigen Studien und auch Alltagsbeobachtungen, dass digitale Medien einen immer größeren Raum im Leben nicht nur von Erwachsenen, sondern auch von Kindern einnehmen. Die starke Durchdringung aller Lebensbereiche mit Medien – die Mediatisierung – ist ein wesentliches Kennzeichen unserer heutigen Lebenswelt. Kinder wachsen heute in einer medienreichen Umwelt auf: In Familien stehen den Kindern täglich die verschiedensten Medien zur Verfügung (European Commission 2015a). Zwar besitzen Kinder unter sechs Jahren eher selten eigene Geräte, jedoch ist in nahezu allen Familien mindestens ein Smartphone vorhanden, das den Kindern prinzipiell auch zur Verfügung steht (DIVSI 2015). 20 Prozent der Vier- bis Fünfjährigen spielen mindestens einmal pro Woche Computer-, Konsolen- oder Online-Spiele; 12 % nutzen ein Smartphone (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2015). Diese Daten stammen aus dem Jahr 2014; es ist zu vermuten, dass die Mediennutzung der Kinder seitdem eher zugenommen hat.

Die Rolle der Kindertageseinrichtungen: abschirmen oder anleiten?

Angesichts der mit der Nutzung von Medien verbundenen Risiken und Befürchtungen einerseits, der Allgegenwart von digitalen Medien andererseits sehen sich viele pädagogische Fachkräfte in einer Zwickmühle. Ist es angesichts der mit digitalen Medien verbundenen Gefahren nicht sinnvoll, Kindern wenigstens in der Kita einen medienfreien Raum zu bieten? Oder ist es gerade notwendig, Kinder an pädagogisch wertvolle Medienangebote heranzuführen? Wie kann eine verantwortungsvolle Medienbildung aussehen, die die realen Gefährdungen, aber auch Ängste von Eltern und Fachkräften ernst nimmt, zugleich aber Kinder ermutigt, sich Medien zu eigen zu machen, um sie im Sinne einer digitalen Bildung als ein nützliches Handwerkszeug verwenden zu können? Ein hilfreicher Ansatz auf dem Weg zur angemessenen Nutzung digitaler Medien stellt die genauere Betrachtung der Funktionen einzelner Medienangebote dar: Sie können dem Spiel und der Unterhaltung, dem Training, der Information und der Kommunikation dienen (vgl. Abbildung 1). Die eingangs zitierten Studien, die negative Folgen eines hohen Medienkonsums für die kindliche Entwicklung belegen, beziehen sich fast ausschließlich auf die übermäßige Nutzung von Medienangeboten, die dem Spiel und der Unterhaltung dienen. Demgegenüber stehen gerade diese Angebote nicht im Zentrum dessen, was eine sinnvolle digitale Bildung in  Kindertageseinrichtungen ausmacht. Einen eher geringen Stellenwert in Kitas haben aus medienpädagogischer Sicht auch Medienangebote, die dem Training dienen. Da die Elementarstufe des Bildungssystems gerade in Deutschland nicht als Schulvorbereitung konzipiert ist, bei der Kinder grundlegende Fähigkeiten in einzelnen Schulfächern (Lesen, Rechnen, Schreiben) erwerben sollen, werden im Kitaalltag üblicherweise auch keine schulförmigen Übungseinheiten durchgeführt. Apps zum Rechnen oder Computerprogramme zur Förderung der Lesekompetenz dürften deshalb in deutschen Kitas also wenig zur Anwendung kommen. Aus einer (medien-)pädagogischen Perspektive sind es deshalb vor allem digitale Medien, die der Information und der Kommunikation dienen, die für Kitas relevant sein sollten.

Medien als Bestandteil der Kita-Arbeit

Insbesondere Medienangebote, die der Information dienen, sind vornehmlich als ein integraler Bestandteil der üblichen pädagogischen Arbeit zu sehen und weniger als ein gezieltes medienpädagogisches Vorhaben. Dabei kann es um eine projekt- oder themenbezogene Recherche im Internet gehen (z. B. Spielplan der Fußball-WM, Backrezepte, Tiere im Regenwald, Mandala-Vorlagen) oder um Untersuchungen, die digitale Werkzeuge nutzen (z. B. ein an ein Smartphone oder Tablet anschließbares Mikroskop, die Unterwasserkamera zur Erforschung des nahegelegenen Flusses oder Apps zur Messung von Lautstärke, Temperatur, Himmelsrichtung, Herzfrequenz usw.). Diese Informationsquellen können herkömmliche Bildungswege auf selbstverständliche Weise ergänzen. Auf diese Weise kann die digitale Technik als hilfreiches Handwerkszeug sichtbar werden und bleibt nicht nur auf Spiel- und Unterhaltungsfunktionen beschränkt. Gerade Kindern, die zuhause digitale Medien vornehmlich als Spiel- und Unterhaltungsgeräte erleben, können auf diese Weise zusätzliche Perspektiven eröffnet werden. Ein weiteres wichtiges Element der digitalen Bildung in Kindertageseinrichtungen sind kommunikationsorientierte Anwendungen. Damit ist zunächst insbesondere die Kommunikation im Nahbereich gemeint, nämlich die Präsentation der eigenen Projekte und Aktivitäten durch Fotos, Wanddokumentationen oder Filme. Intuitiv zu bedienende Software und die Touchtechnologie auf Tablets ermöglicht es auch Kindern, präsentable Ergebnisse zu erzielen. Im Bereich Film und Foto können darüber hinaus auch eigene Projekte entstehen, die die Technik in den Mittelpunkt stellen, wie etwa bei der Produktion eines Hörspiels oder eines Trickfilms. Fotos oder Videos können auch Gesprächsanlass sein und so die Kommunikation in der Gruppe anregen (Neuß 2016: „Medien als Erinnerungs- und Erzählhilfe“). Kommunikation kann aber auch aus der Kita und dem regionalen Umfeld herausführen und über E-Mail oder Videotelefonie oder auch soziale Netzwerke Verbindungen zu Kindern in der ganzen Welt herstellen (Knauf 2016a). Medien als Informationsquelle und Kommunikationsmittel bilden zwei Säulen der digitalen Bildung in Kindertageseinrichtungen; hinzu kommt eine aus medienpädagogischer Sicht wichtige dritte Säule: die Reflexion von Medienangeboten und Mediennutzung (vgl. Abbildung 2). Hierbei steht das Medium explizit im Vordergrund und die Medien haben nicht nur eine unterstützende Rolle der pädagogischen Arbeit. Zum einen können verschiedene Medienangebote und -erfahrungen, die die Kinder gemacht haben, gemeinsam besprochen werden (z. B. Bewertung von Spielen). Zum anderen findet hier aber auch das Erforschen der Medien selbst seinen Platz: Beleuchtet werden können zum Beispiel die Bedeutung von Werbung oder die technische Funktionsweise einzelner Geräte. Unterstützt werden können diese Explorationen beispielsweise durch das analoge Medium Bilderbuch (Beispiele für Bilderbücher zum Thema Computer: Knauf 2015).

Eine so umrissene digitale Bildung legt den Schwerpunkt auf eine Erweiterung bisheriger Bildungswege in Kindertageseinrichtungen – und stellt keinen zusätzlichen neuen Bildungsbereich dar. In Anlehnung an Buckingham (2013: 175) kann man auch sagen: In einer Welt, die von digitalen Medien dominiert wird, ist es notwendig, unser Verständnis von Bildungsprozessen zu verändern und ein umfassenderes Verständnis von Bildung zu erweitern. Der Umgang mit digitalen Medien ist ein Teil davon.

Die pädagogische Fachkraft – das analoge Wesen?

Sicher nicht. Denn die Allgegenwart digitaler Medien betrifft mehr noch als bei den Kindern den Alltagder Erwachsenen – also auch den Alltag der pädagogischen Fachkräfte. Dies bezieht sich nicht nur auf die private Mediennutzung (die Textnachrichten auf dem Smartphone, der Einkaufsbummel beim Online-Händler, die schnelle Recherche über die Suchmaschine), sondern vor allem auf den Einsatz digitaler Werkzeuge im professionellen Kontext. Digitale Fotografie und Bildbearbeitung und das Verfassen von Elternbriefen und Berichten haben inzwischen wohl in allen Kindertageseinrichtungen Einzug gehalten.
Der Blick in andere Länder zeigt, dass noch weitere Entwicklungen zu erwarten sind: So nutzen beispielsweise in Neuseeland, dem Herkunftsland der Lerngeschichten, immer mehr Kindertageseinrichtungen die Möglichkeit, Lerngeschichten (neben der ausgedruckten Form) den Eltern auch in einer virtuellen Wolke bereitzustellen (Knauf 2017). Soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter sowie Blogs einzelner Kindertageseinrichtungen spielen in anderen Ländern ebenfalls eine wachsende Rolle für die Präsentation der Einrichtungen und ihrer pädagogischen Arbeit (beispielsweise in den USA, siehe dazu: Knauf 2016a und Knauf 2016b). Während pädagogische Fachkräfte in Deutschland diese Entwicklungen teils mit Sorge betrachten, weil sie die damit verbundenen zusätzlichen Aufgaben und Anforderungen sehen (Knauf 2016b), betonen Fachkräfte, die hiermit Erfahrungen gemacht haben, die positiven Seiten: vor allem das Sichtbarwerden ihrer pädagogischen Arbeit, die sonst oft unsichtbar bleibt, wodurch sie vor allem von Eltern deutlich mehr positive Resonanz erfahren. So sind auch auf der Ebene der Fachkräfte mit der Mediatisierung ihres Berufsalltags Chancen wie Risiken verbunden.

Digitale Bildung und das pädagogische Konzept

Wird digitale Bildung in erster Linie – wie oben beschrieben – als integraler Bestandteil der pädagogischen Arbeit verstanden, lässt diese sich leicht mit verschiedenen pädagogischen Ansätzen verknüpfen.
Für den Situationsansatz arbeitet Neuß (2016) heraus, dass insbesondere der Bezug zur Lebenswelt der Kinder immer wieder einen Anlass für die Einbeziehung digitaler Medien darstellt. In der Reggio-Pädagogik wird der Computer als Werkzeug insbesondere auch für Kunst-Projekte gesehen: Beispiele hierfür sind die Arbeit mit Bildbearbeitungssoftware, um Fotos der Kinder so zu verändern, dass sie als Wesen mit Superkräften erscheinen („Polymerisation“), oder mit der ein am Computer gezeichneter Marienkäfer zum Akteur einer Geschichte werden kann („Die Reise eines Marienkäfers“) (Kommunale Krippen und Kindergärten von Reggio Emilia und Reggio Children 2017: 7/21). Neben diesem Anknüpfen an die pädagogischen Grundsätze einzelner Ansätze kann die Arbeit mit digitalen Medien auch zu einem eigenen Schwerpunkt für einzelne Einrichtungen werden. Eine Profilbildung in diesem Bereich ergibt insbesondere dann Sinn, wenn die pädagogischen Fachkräfte über die entsprechenden Kompetenzen und vor allem auch die zugehörige Begeisterung für das Digitale verfügen.

Und die Eltern?

In Publikationen zum Thema Medien und Kita ist immer wieder zu lesen, dass es wichtig ist, die Eltern in die Auseinandersetzung mit Medien einzubeziehen (z. B. Neuss 2016). Auch Studien zeigen, dass die Mediennutzung der Kinder sich oft am Medienverhalten der Eltern orientiert (Lauricella et al. 2015) und Kinder – wie in anderen Lebensbereichen auch – vieles durch Beobachtung und Vorbild lernen (European Commission 2015). Jedoch birgt die Zielsetzung, Eltern in die Auseinandersetzung mit digitalen Medien einzubeziehen, auch Fallstricke. Anknüpfend an einer in den letzten Jahren laut werdenden Kritik an der Idee der Bildungs- und Erziehungspartnerschaft (z. B. Betz 2015) gilt auch hier: Es kann nicht die Aufgabe pädagogischer Fachkräfte sein, Eltern den „richtigen“ Umgang mit digitalen Medien darzulegen oder gar beizubringen. Auch sollten Kinder nicht als Sendboten eines besseren Medienverhaltens instrumentalisiert werden. Schließlich ist auch die Abwertung oder das Anprangern eines (vermeintlich) ungünstigen Medienkonsums in den Familien nicht Aufgabe pädagogischer Fachkräfte. Mit solchen Zielstellungen wären Kitas erstens überfordert und zweitens würde es auch ihrer professionellen und gesellschaftlichen Rolle nicht entsprechen: Ihre Aufgabe besteht in der Bildung, Betreuung und Erziehung der Kinder – nicht in der Belehrung von Eltern. Der Fokus einer digitalen Bildung sollte deshalb auf der Ermunterung zur kreativen und bildungsorientierten Nutzung digitaler Medien liegen.

Voraussetzungen: Von A wie Ausstattung bis Q wie Qualifikation

Die Schwerpunktsetzung der Arbeit mit digitalen Medien auf die Integration in das pädagogische Alltagshandeln darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Etablierung einer digitalen Bildung in Kindertageseinrichtungen mit Investitionen verbunden ist: Fachkräfte benötigen entsprechende Fort- und Weiterbildungen, da das Thema an Fachschulen oft nur oberflächlich behandelt wird (Friedrichs-Liesenkötter 2016) oder die Ausbildung bei der einzelnen Fachkraft einfach bereits zu lange zurückliegt und nicht den aktuellen technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen entspricht. Es bedarf aber auch finanzieller Mittel, denn auch wenn die Kosten für digitale Geräte deutlich gesunken sind, steht nach wie vor in vielen Einrichtungen nicht einmal die digitale Grundversorgung aus aktuellem Computer, (Farb-)Drucker und Digitalkamera zur Verfügung. Für Schulen und Hochschulen hat das Bundesbildungsministerium eine viel beachtete „Bildungsoffensive“ zur Digitalisierung gestartet, die unter anderem für eine entsprechende Infrastruktur sorgen soll.

Quelle: TPS 10/2017, Seite 5-9 (Heft 10/2017 hat den Titel: Kinder in der digitalen Welt)

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