24.03.2021
Martina Teschner

„Die Mama muss doch jetzt zur Arbeit!“

Morgens halb neun in der Kita: Dana brüllt, ihre Mutter hält trotz Ansage nichts vom schnellen Abschied, die Erzieherin ist verzweifelt. Wer hier bereit ist, auch versteckte Botschaften zu entschlüsseln und empathisch ins Gespräch zu kommen, könnte bald ein fröhliches Mama-Tochter-Team finden – und Ruhe.

Der Fall

„Neiiiin, mitgehn! Hause!“ Diese Worte zerreißen am Morgen die ruhige Zeit des Ankommens in der Kita. Sie stammen von der dreiundzwanzig Monate alten Dana, die seit zwei Monaten in die Krippe geht und vor wenigen Tagen begann, sich beim Verabschieden an ihre Mutter zu klammern. Die junge Erzieherin Claire steht schon bereit und versucht, beruhigend auf das Kind einzuwirken. Sie stellt interessante, verlockende Aktivitäten in der Krippe in Aussicht. Danas Mutter Eva sagt: „Aber schau, die anderen Kinder sind auch da und die Mama muss doch jetzt zur Arbeit!“ Dana beruhigt sich nicht. So trennt sich die Mutter schließlich schweren Herzens von ihrem weinenden Töchterchen. Von Claire verabschiedet sie sich sichtlich verzweifelt mit dem Satz: „Ich kann sie ja nicht mitnehmen!“ Eine halbe Stunde später sitzt Dana vergnügt mit den anderen Kindern am Frühstückstisch. Claire hat der Mutter schon mehrfach gesagt, dass sie sich einfach schnell verabschieden und dann gehen muss. Das scheint die Mutter aber nicht zu hören, denn auch in den nächsten Tagen ändert sich nichts.

Wer spielt mit?

Dana:

Jeden Morgen zeigt sie mit der ganzen Kraft einer fast Zweijährigen, dass hier etwas gar nicht in Ordnung ist.

Danas Mutter Eva:

Sie hat ihre Berufstätigkeit wieder aufgenommen, kann sich aber nun gar nicht auf die Einarbeitung in ihrem Job konzentrieren, weil sie dauernd an Dana denkt. Sie überlegt, ob sie Dana nicht doch besser noch ein Jahr daheim gelassen hätte.

Erzieherin Claire:

Die junge Frau hat schon in ihrem Berufspraktikum gelernt, dass ein schneller Abschied für manche Kinder besser ist. Genau das hat sie der Mutter so gesagt und ärgert sich, dass diese sich nicht an ihre Ansage hält. Sie sieht sich in einem Dilemma, möchte Dana helfen, aber die Mutter zieht nicht mit.

Zum Reflektieren

Wer hat hier welche Aufgabe? Die Gestaltung des Abschieds von ihrem Kind ist die Aufgabe der Mutter, denn es geht um die Beziehung der beiden zueinander. Hier kann die Fachkraft Alternativen aufzeigen oder Empfehlungen geben – mehr wäre übergriffig. Es hilft auch nicht, dieses Verhalten als unsinnig abzuwerten. Es gibt einen – noch verborgenen – Sinn dahinter. Ein Kind, das verzweifelt schreit, macht kein Theater, um dafür belohnt zu werden. Dieses Drama soll aufrütteln und zeigen, dass etwas nicht stimmt. Eine Mutter, die sich unverständlich verhält, hat auch dafür gute Gründe. Da diese bisher nicht erkennbar sind, sollte ein Gespräch erfolgen.

Es lohnt sich, einfühlsam über die Mutter nachzudenken. Sie ist auf der sprachlich-reflexiven Ebene nicht erreichbar gewesen. Könnten unbewusste negative oder ungeklärte Gefühle dieses Verhalten erklären? Trennungsschmerz, Bedeutungsverlust, Minderwertigkeitsgefühle oder Konkurrenz? Auch Eltern müssen diesen Übergang bewältigen. Auf der Suche nach dem Kernpunkt des Problems ist es außerdem nützlich, auf unterschwellige Botschaften zu achten. Kurze Protokollnotizen helfen, später die Situation zu reflektieren. Dabei sind besonders Brüche oder Widersprüche aufschlussreich, in denen etwa Handlung und Aussagen nicht zusammenpassen oder plötzliche Verhaltenswechsel zu erkennen sind.

Auch Begriffe, sogenannte Schlüsselwörter, die immer wieder fallen, können Hinweise sein. Wichtig bei diesen Vorüberlegungen ist, sich bewusst zu sein, dass die Wahrheit noch nicht gefunden wurde. Erst in der Kommunikation kann sich klären, was dahintersteht. Die gedankliche Vorbereitung ermöglicht es, behutsam Themen anzusprechen und darauf einzugehen. 

Auf Lösungssuche

Erzieherin Claire sucht sich Hilfe. Im Bücherregal des Teamraums entdeckt sie eine Zeitschrift mit dem Titel „Eltern – wie wir sie ins Boot holen“. Während die Kinder noch schlafen, blättert sie darin. Eine Aussage ist für sie zentral: Um gemeinsam mit Eltern voranzukommen, muss sie sich über die unterschiedlichen Perspektiven Gedanken machen. Claire kann sich vorstellen, dass es für Danas Mutter auch nicht leicht ist. Beherzt spricht sie diese beim Abholen ihrer Tochter an: „Ich würde mich mal gern in Ruhe mit Ihnen austauschen, jetzt, nachdem Dana schon ein paar Wochen bei uns ist. Ich weiß gar nicht, wie Sie das erleben. Ich würde Ihnen auch gern erzählen, was hier jetzt so tagsüber passiert.“ Auf dieses offene Angebot geht Danas Mutter gern ein. Sie scheint sich über die Aufmerksamkeit zu freuen.

Auch das vorbereitete Gespräch leitet Claire ganz offen ein: „Dana ist ja nun schon seit ein paar Wochen bei uns, was hat sich denn verändert?“ Die Mutter erzählt, dass sie zu Beginn glücklich war, dass Dana mit so viel Spaß in die Krippe ging. Zu Hause habe sie auch Rituale, die Dana aus der Kita mitgebracht hat, übernommen, wie etwa den Tischspruch. Aber nun schreie Dana ja jeden Morgen, und ihr sei es auch gerade alles zu viel. Sie sei zwar zur alten Firma zurück, aber in einer neuen Aufgabe und ihr brumme der Kopf. Dabei könne sie sich kaum auf die Arbeit konzentrieren, weil sie dauernd an Dana denke. „Ich weiß ja nicht, ob das nicht zu früh ist, mit noch nicht mal zwei Jahren in die Kita. Aber wir haben das finanziell nicht so dicke, und ich muss ja auch den Anschluss behalten. Zwei Jahre raus, das merk ich ja jetzt schon, das ist nicht so leicht.“ Claire versteht, dass sich Danas Mutter in einer Zwangssituation sieht. Sie hakt nach: „Und Sie haben sich dann trotz Ihrer Zweifel für die Krippe entschieden?“ Die Mutter antwortet: „Ja, wir kennen ja auch andere Kinder, die zum Teil noch jünger sind und in die Krippe gehen. Die haben ja auch keinen Schaden davon. Dana liebt es, mit anderen Kindern zu spielen. Das kann ich ihr zu Hause gar nicht bieten.“ Claire bleibt dran: „Aber Sie selbst vermissen die Zeit mit ihr?“ – „Ja, stimmt. Es ist eigentlich für mich schlimm, nicht für sie!“, sagt Danas Mutter lachend, und Claire stimmt ein. „Es ist gut, wenn Sie das so sehen! Dann sollte Dana wissen, dass Sie ihr von Herzen gönnen, sich bei uns wohlzufühlen!“, bemerkt Claire. „Ich glaube, es ist gut, wenn Sie Dana sagen, dass Ihnen zwar der Wiedereinstieg in die Arbeit schwerfällt, aber dass Sie das schaffen wollen.“

Nach dem Gespräch spürt Claire, dass sich etwas verändert hat: Ihr scheint, jetzt ist wirklich eine Zusammenarbeit mit der Mutter möglich, während sie sie vorher eher als Gegnerin erlebt hat. Auch das Vertrauen der Mutter in die Kita wächst zusehends. Claire erzählt ihr nun immer etwas aus dem Alltag, damit sie an Danas Erlebnissen teilhaben kann. Dana spürt offensichtlich, dass ihre Mama wieder festen Boden unter den Füßen hat. Es gibt für sie keinen Anlass mehr, beim Abschied zu schreien.

ZUM WEITERLESEN

TPS 6/2020: Eltern – wie wir sie ins Boot holen.

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