03.07.2019
Redaktion
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Keiner kommt zu kurz - Familiengruppen für Kinder von 0 bis 10 Jahren

Die Kritik ist immer die gleiche: Wenn Kleinkinder und Hortkinder in einer Gruppe sind, geht immer jemand unter. Das muss nicht sein. Die Leiterin der Kita Kosmos in Frankfurt berichtet, worauf sie achtet, damit alle von der Gruppe profitieren und Familiengruppen gut aufgeteilt sind.

Text: Michelle Schröder, Bild: Michelle Schröder

Kinder unterschiedlichen Alters unter einem Dach. Solche Einrichtungen gibt es einige. In unserer Kita Kosmos allerdings sind die Kinder nicht - wie in den gängigen altersgemischten Kitas - nach Krippe, Kindergarten und Hort getrennt. Stattdessen gibt es in jeder Stammgruppe Kinder jeden Alters. Damit ist unsere Kita eine der wenigen Einrichtungen landesweit, die das Konzept der großen Altersmischung in Familiengruppen praktiziert.
Unsere Kita gibt es seit November 2000. Wir betreuen 58 Kinder im Alter von zehn Monaten bis maximal zehn Jahren. Die Kinder können bei uns vom ersten bis zur Vollendung des zehnten Lebensjahres in ihrer Stammgruppe bleiben, dabei haben sie im Idealfall beständige Bezugspersonen und Freunde.

Ein Haus für alle

In unserem offenen Haus sind positiv gestaltete Beziehungen essenziell. Wir knüpfen stets ein enges Netz zwischen Kindern, Eltern und Bezugspersonen, um gegenseitiges Vertrauen zu schaffen. Dieses Vertrauen bildet die Grundlage für weitere Bindungs-, Beziehungs- und Bildungsprozesse. In unserer Einrichtung begegnen sich Menschen verschiedener Kulturen, unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Sozialisationen. Wir als Familieneinrichtung empfinden das als Bereicherung für jeden Einzelnen. Diese Auseinandersetzung mit Unterschiedlichkeiten macht einen großen Teil der pädagogischen Arbeit aus.

Die Fachkräfte bieten Raum und Zeit, um individuelle und gruppendynamische Bedürfnisse aufzugreifen. Von Beginn an wurde die pädagogische Konzeption regelmäßig erweitert, angepasst und verbessert. Was idealistisch in den Köpfen von pädagogischen Fachkräften entstand, musste in der Praxis der Lebenswirklichkeit angepasst werden.
Eine häufig geäußerte Kritik an Familiengruppen lautet: Es besteht die Gefahr, dass Kinder in der Masse untergehen. Dabei wird vermutet und behauptet: Bestimmte Altersgruppen kommen zu kurz. Um dieser Kritik entgegenzuwirken, haben wir die Bedenken genauer unter die Lupe genommen. Uns wurde schnell klar, dass das Leben in altersübergreifenden Gruppen sehr viele Vorteile hat. Es gibt allerdings auch ganz bestimmte Voraussetzungen zu bedenken, damit alle Altersgruppen die nötige Beachtung finden.

Projektgruppen für Peers

Durch die breite Altersstruktur stehen nur wenige Kinder für Freundschaften unter Gleichaltrigen zur Verfügung. Das bedeutet, dass es notwendig ist, altershomogene Inseln zu schaffen, damit sich Peergroups bilden können. Also haben wir Projektgruppen installiert, in denen sich Kinder jeweils altershomogen einmal die Woche treffen. Die unter Dreijährigen treffen sich und erobern einen Gruppenraum oder unternehmen einen Spaziergang in die nähere Umgebung. Die Dreijährigen gehen in den Wald, um diesen dort einen ganzen Vormittag gemeinsam zu erkunden, zu klettern und zu untersuchen. Alle Vierjährigen treffen sich zur Musikgruppe, um gemeinsam zu musizieren oder zu tanzen. Unsere Vorschulkinder treffen sich, um sich gemeinsam auf die Schule vorbereiten zu können. Zum Mittagessen kommen dann alle wieder zusammen.
Krippenkinder haben andere Bedürfnisse als Hort- oder Kindergartenkinder. Damit sich alle wohlfühlen, müssen alle Seiten berücksichtigt werden. Der Fokus sollte sich dabei ganz bewusst nicht nur auf eine Altersgruppe konzentrieren. Die Bedenken der Fachwelt, gerade den Hortkindern nicht gerecht zu werden, haben ihre Begründung. Denn diese Altersgruppe hat Bedürfnisse, deren Befriedigung maßgeblich zum Gelingen der "Familie" beitragen.

Schulkinder brauchen Freiraum

Unsere Hortkinder sind über mehrere Jahre in unserer Einrichtung. Das heißt, sie benötigen eine Erweiterung ihres gewonnenen Spielraums. Dazu stehen ihnen der Hortraum, ein Bauraum, das Freigelände und ab der zweiten Klasse ein Freizeitbereich im Keller zur Verfügung. Wer bin ich? Mit dieser Frage beschäftigen sich Mädchen und Jungen bereits im Vorschulalter. Die Fähigkeit des konkret-operationalen Denkens ermöglicht Schulkindern, auf diese Frage anspruchsvolle Antworten zu finden. Grundschülerinnen und-schüler lernen, nach und nach ihr Können realistisch einzuschätzen, und ersetzen damit einen grenzenlosen Optimismus in die eigenen Fähigkeiten.
Durch die größer werdende Unabhängigkeit haben Kinder erweiterte Gelegenheiten, sich Gleichaltrigen zuzuwenden und sich mit ihnen zu verabreden, um gemeinsam freie Zeit zu verbringen. Allein durch diesen äußeren Rahmen ist es vielen Grundschülerinnen und -schülern möglich, Freundschaften zu entwickeln. Das heißt, sie bauen soziale Beziehungen auf, die eine gewisse und häufig auch recht hohe Stabilität aufweisen. Mädchen und Jungen finden so Gleichaltrige, denen sie Hoffnungen, Geheimnisse und Sorgen anvertrauen können. Die Hortkinder ziehen sich immer wieder bewusst von kleineren Kindern zurück, sie brauchen ihre Peergroup in hohem Maße.
In diesen Gruppen sammeln sie vielfältige Erfahrungen. Sie lernen miteinander Regeln auszuhandeln oder diskutieren Normen und Strukturen. Gleichaltrige helfen sich in ihrer Identitätsentwicklung. Sie vergleichen sich mit anderen, entdecken Ähnliches, grenzen sich ab und finden dabei zu sich selbst. Nebenbei erleben wir Hortkinder, die sich immer wieder ganz bewusst den kleineren Kindern zuwenden, um mit ihnen Zeit zu verbringen. Sie trennen sich aber auch wieder, wenn es für sie genug ist.
Es bedarf einer hohen und beständigen Reflexionsfähigkeit der pädagogischen Fachkräfte, sich selbst und die eigene Arbeit immer wieder kritisch zu hinterfragen. Eine besondere Herausforderung dabei ist es, sich auch der Kritik der Kinder - besonders der Großen - zu stellen.

Schulkinder stärken die Gruppe

Die Gruppe der Hortkinder setzt sich jedes Jahr neu zusammen. Dadurch, dass Kinder die Einrichtung nach der vierten Klasse verlassen und neu eingeschulte Kinder dazustoßen. Jenach Zusammensetzung der Gruppe, entstehen ganz unterschiedliche Bedürfnisse. In einem Jahr ist es den Großen vielleicht besonders wichtig, geschlechtsgetrennte Spielbereiche zu haben. Im nächsten Jahr findet die Gruppe solche Trennungen befremdlich und fordert eine Öffnung ein.
Um solchen Bedürfnissen gerecht zu werden und um die Kinder tatsächlich ernst in ihren Bedürfnissen zu nehmen, erfordert es von den Fachkräften ein hohes Maß an Empathie und ein Aushalten von Widersprüchlichkeiten. Diese Arbeit lohnt sich! Denn wenn Hortkinder sich ernst genommen fühlen und ihre Bedürfnisse nicht ungehört untergehen,dann sind sie auch frei und bereit, sich auf jüngere Kinder einzulassen.
Dies wiederum hat Auswirkungen auf die Familiengruppe und bereichert das Miteinander. Auch in der eigenen Familie gibt es Zeiten, in denen alle zusammen sind, und Zeiten, in denen jeder seinen eigenen Bedürfnissen oder Verpflichtungen nachgeht. Umso mehr freut man sich dann auf die gemeinsame Zeit.

Hortkinder kommen zurück

Es ist unsere Erfahrung, dass Beziehungen, die in unserer Kita entstanden sind, eine große Beständigkeit haben. Lehrkräfte unserer Grundschule melden uns oft zurück, dass Kinder, die in unserer Einrichtung aufgewachsen sind, sich einander zugehörig fühlen und auch auf dem Schulhof füreinander da sind. Familien, die uns durch Umzug verlassen haben, wissen, dass unsere Türen immer offen sind. Sie kommen uns regelmäßig besuchen.
Außerdem wollen unsere großen Hortkinder oft ihr erstes Praktikum, oder den Boys- und Girls-Day bei uns erleben. Für sie ist es weiterhin selbstverständlich, dass sie zu uns kommen, sollten ihre Eltern mal noch nicht zu Hause sein, oder wenn sie ihren Schlüssel vergessen haben.
Dieses Zugehörigkeitsgefühl bei Eltern und Kindern hält auch nach der Kita-Zeit noch an. Das nachhaltige Interesse an uns trägt einen großen Teil zur Freude an unserer Arbeit bei. Dadurch werden wir immer wieder aufs Neue in unserer Entscheidung für das Konzept Familiengruppe bestätigt.

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