30.07.2021
Eike Ostendorf-Servissoglou

Vom kleinen Steppke zum großen Gärtner

Schrebergärten sind nur was für Spießer? Im Gegenteil! Drei Kinderhäuser in Stuttgart und Karlsruhe haben sich auf ein ganz besonderes Projekt eingelassen und bewirtschaften ihren eigenen Kleingarten. Unserer Autorin haben sie von Kakteen im Barfußpfad, Insektenhotels und Wildblumen erzählt – und von Naturerlebnissen, die kein Kita-Außengelände bieten kann.

Der Mensch ist Teil der Natur und untrennbar mit ihr verbunden. Das zeigen uns besonders Kinder immer wieder aufs Neue. Völlig mühelos entsteht beim Spielen, Gestalten und Arbeiten im Naturraum ein beglückendes Gefühl von Flow: ein völliges Versunkensein in das, was man gerade macht.

Wie können Kitas mehr Naturerfahrung bieten? Eine Möglichkeit: Schrebergärten pachten. Diese sind eine ganz eigene Welt zwischen Natur und Zivilisation. Wir Menschen können Schrebergärten mit Pflanzen, Tieren und den Elementen nicht nur selbst gestalten, sondern Kinder damit die Chance geben, Natur hautnah zu erleben – eine prägende Erfahrung. Drei Element-i-Kinderhäuser des Stuttgarter Bildungsträgernetzwerks Konzept-e haben diesen Schritt gewagt.

Das Kinderhaus Steppkes im Südwesten von Stuttgart pachtete bereits im Jahr 2010 ein 1 500 Quadratmeter großes und steiles Gartengelände mit vielen Obstbäumen. Drei Plateaus grenzen vier Hänge voneinander ab. In den ersten Jahren nutzte das Kita-Team den Schrebergarten überaus rege. Doch schleichend trat das Gartenprojekt in den Hintergrund. Bei Personalengpässen war es oft schwierig, in der Kita die zwei pädagogischen Fachkräfte zu entbehren, die für den Ausflug einer Kindergruppe in den Garten nötig sind. Außerdem fehlten Kolleginnen und Kollegen, die begeistert mitziehen und das Projekt weiter voranbringen. Und so lag der Garten leider erst mal weitestgehend brach.

Schluss jetzt mit dem ewigen Dornröschenschlaf!

Zu Beginn des vergangenen Jahres hat sich bei den Steppkes allerdings viel verändert. Lisa Reuß, die im Pädagogischen Leitungskreis des Trägers für das Thema Naturraumpädagogik zuständig ist, sowie die Verantwortlichen im Kinderhaus Steppkes und in der Freien Element-i-Grundschule, die mit dem Kinderhaus dasselbe Gebäude teilt, beschlossen: Wir müssen den Garten aus seinem Dornröschenschlaf wecken. In mehreren Gemeinschaftsaktionen, an denen sich auch Eltern beteiligten, befreiten sie den Garten von Wildwuchs.

„Dann bremste uns Corona etwas aus“, berichtet Projektleiterin Heike Klein-Elsässer, „größere Gemeinschafts- und Elternaktionen waren nicht mehr möglich.“ Trotzdem tat sich auch in dieser Zeit viel. Der Träger ließ die baufällig gewordene Hütte durch ein neues Häuschen ersetzen. Und das Garten-Team schmiedete ebenfalls emsig Pläne: Vielleicht könnten künftig Bienenvölker im Garten wohnen oder Schafe die Wiesen abgrasen? Gleichzeitig zeigte der Garten gerade während der Corona-Zeit, was er zu leisten vermag. „Für eine Einrichtung in der Stadt haben wir zwar ein vergleichsweise großes Außengelände. Das relativiert sich jedoch angesichts der hundertfünfzig Kita- und Schulkinder, die es nutzen. Und durch die Corona-Auflagen können die unterschiedlichen Gruppen auch nicht mehr gleichzeitig draußen sein“, berichtet KleinElsässer. „Der Schrebergarten bietet willkommenen Freiraum, den die Kinder in dieser Situation besonders genießen.“

„So einen Schrebergarten möchten wir auch!“, sagte das Kita-Team des Element-i-Kinderhauses Junges Gemüse 2016. Doch erst nach zweieinhalb Jahren erhielt die Kita vom Liegenschaftsamt der Stadt Stuttgart endlich die positive Nachricht, dass ein Garten in einer nahe gelegenen Kleingartenanlage frei geworden war und die Einrichtung als soziale Institution nun vorrangig berücksichtigt wird. „Innerhalb von zwei Tagen unterschrieben wir den Vertrag und waren stolze Besitzer eines 375 Quadratmeter großen Gartens“, berichtet Fabrizio Russo, Teamleiter im Kinderhaus Junges Gemüse. „Er war sehr verwildert. Wer einen Garten in einer solchen Anlage pachtet, verpflichtet sich jedoch, ihn ordnungsgemäß zu bewirtschaften, den Baumbestand zu pflegen und die Bodenfruchtbarkeit zu erhalten.“

Während des Lockdowns 2020 kamen Eltern auf die Kita-Leitung mit der Frage zu, ob sie mit ihren Kindern in den Schrebergarten gehen dürften. Seitdem ist es zur Gewohnheit geworden, dass diejenigen Eltern, die sich bei der Gartenarbeit engagieren, die Fläche auch privat nutzen können – eine Win-win-Situation. Die Zusammenarbeit von Eltern und Kita-Team ist dadurch noch intensiver geworden und neue Ideen entstehen. Vergangenen Sommer brachte eine Familie etwa ein Gehege in den Garten mit. Dort lebten dann die Meerschweinchen und Zwergkaninchen der Kinder während der warmen Monate. Und in der Werkstatt der Kita entstehen Insektenhotels und Vogelhäuschen für die Tiere im Garten.

Der gesamte Stadtteil zieht an einem Strang

Dass auch das Element-i-Kinderhaus Sterngucker in Karlsruhe Gartenbesitzer wurde, ist einem reinen Zufall zu verdanken. Erzieher und Projektleiter Ramtin Kashef ist seit fünf Jahren Mitglied in einem Kleingartenverein. Der Vorsitzende dort berichtete von einem 400-Quadratmeter-Garten, den eigentlich eine Schule habe pachten wollen. Leider sei die nun aber wieder abgesprungen. Vielleicht habe seine Kita Interesse? „Ich überlegte zwei Sekunden und sagte zu“, erinnert sich Ramtin Kashef. Seine Vision ist ein Stadtteilgarten, der zur Begegnungsstätte wird. „Unser Leitspruch lautet: Gemeinsam aktiv – nachhaltig handeln für die Zukunft“, sagt er. „Was das genau heißt, wollen wir mit möglichst vielen Menschen diskutieren.“ Daher möchte er viele verschiedene Partner mit ins Boot holen. Kooperationen mit einem Wohnheim für schwerstmehrfachbehinderte Kinder sowie mit einem Flüchtlingswohnheim bestehen bereits.

Der erfahrene Hobbygärtner liebäugelt mit einem klassischen Gemüsegarten, will Obstbäume setzen, eine Kräuterspirale bauen und ein Feuchtbiotop für die entsprechenden Tiere anlegen. Außerdem sind ein Trockengarten, eine Wiese mit Wildblumen und ein Barfußpfad mit Kakteen angedacht. Und natürlich muss ein Komposthaufen her, um den Garten mit frischem Humus zu versorgen. Die Rollstuhltauglichkeit der Anlage bedenkt das Garten-Kompetenzteam, dem neben Kashef noch zwei weitere pädagogische Fachkräfte angehören, dabei immer mit. Denn auch Menschen mit Behinderung sollen alle Gartenteile gut erreichen können. Bienen sind bereits in den Garten eingezogen. Dafür hatte Ramtin Kashef zuvor eine Kooperation mit einem Imker in die Wege geleitet. Doch aktuell geht es erst einmal um den Bau einer Hütte. „Da wir so wenig wie möglich neu kaufen wollen, haben wir uns für ein Haus aus zweiter Hand entschieden“, berichtet Daniel Schmid, Teamleiter der Kita. Fast täglich sei das Garten-Kompetenzteam vor Ort und arbeite fleißig weiter. Viele der Kinder, die sich in der morgendlichen Kinderkonferenz selbst entscheiden können, wie sie ihren Tag verbringen, schließen sich an.

Aber was macht einen Schrebergarten außerdem so besonders für Kinder? Ein Garten wird vom Menschen fortlaufend bearbeitet. Er ist Gegenstand von Gestaltung und Veränderung. „Kinder können hier buddeln und bauen, Dinge dauerhaft in ihrem Sinne verändern. Das Kita-Außengelände gleicht dagegen eher einem Spielplatz: Sandkasten, Schaukeln, Klettergerüste, Fahrzeuge prägen die Fläche, ziehen die Aufmerksamkeit auf sich und geben Aktionsmuster vor“, erklärt Lisa Reuß aus dem Pädagogischen Leitungskreis des Trägers. Im Garten fordert die Natur die Kinder in vielfältiger Weise zum Spielen und Entdecken auf und regt dabei ihre Fantasie und ihren Forschergeist an.

„Wenn die Kinder durchs Gartentörchen kommen, rennen sie zuerst einmal zu den Bienen“, sagt Ramtin Kashef. „Manche buddeln anschließend Löcher, um zu sehen, was unter der Erde so alles an Würmern und Engerlingen lebt. Und dann stellt sich natürlich die Frage: Was haben wir heute zu tun? Dann geht es an den Bau der Hütte.“ Daniel Schmid erzählt: „Manche Kinder waren beim Bauen gleich mit dabei. Andere reagierten zögerlich. Aber schließlich haben sich alle getraut, den Akkuschrauber zu bedienen. Es war interessant, diesen Prozess zu beobachten.“

Anders als das Kita-Außengelände lässt sich ein Schrebergarten mit anderen Einrichtungen und Institutionen teilen. Er kann, so wie in Karlsruhe, zum Ort der Begegnung werden. Kooperationen zum Beispiel mit Imkern oder Schäferinnen sind in diesem Rahmen anders als in der Kita ebenfalls möglich. Und auch Kita-Eltern können für den Garten Mitverantwortung übernehmen. Im Garten des Jungen Gemüses wurden sie auf diese Weise zur tragenden Säule des Projekts. Doch nicht überall besteht ein solches Interesse der Familien. Wo die Einbindung der Väter und Mütter gelingt, trägt sie dazu bei, die Erziehungspartnerschaft zu intensivieren.

Fabrizio Russo erzählt eine Geschichte, die einen weiteren Vorteil des Schrebergartens deutlich macht: „Unsere Kinder möchten im Garten jetzt ein Tipi bauen. Das hatten sie vorher bereits im Wald getan. Doch ein Kind bemängelte, dass im Wald jeder an dem Tipi mitbaue. Das sei dann nichts Eigenes mehr. Im Gespräch zwischen Kindern und Pädagoginnen und Pädagogen entstand daraus die Idee, die Aktion in den Schrebergarten zu verlegen.“

Kinder sehen Dinge, die Erwachsenen verborgen bleiben

„Der Garten ist ein Stück Natur, das die Kinder über einen langen Zeitraum gestalten, begleiten und beobachten“, betont die pädagogische Leiterin Lisa Reuß. „Dadurch ergeben sich automatisch langfristige Projekte zum Wandel der Jahreszeiten, zum Leben von Pflanzen und Tieren, zum Säen, Ernten und Haltbarmachen von Obst und Gemüse, zu den vier Elementen. Das alles ist Bildung für nachhaltige Entwicklung.“ Die Lehrerin Elisabeth Rahman sagt: „Natur über- oder unterfordert nicht. Jedes Kind kann sich nach den eigenen Möglichkeiten in ihr bewegen und die eigenen Grenzen erforschen. Dabei lernen die Kinder mit allen Sinnen. Sie spüren Hitze und Kälte, Erde, Steine, Blätter … Sie erfahren sich in der Natur – hautnah.“ Teamleiterin Martina Gärtner von den Steppkes beobachtet zudem, dass die Mädchen und Jungen begeistert aus dem Garten zurückkommen: „Sie bringen immer etwas mit. Vielleicht einen Stock oder einen Stein, in dem sie etwas sehen, was uns Erwachsenen oft verborgen bleibt.“

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