08.07.2020
Silke Kaiser © Juanmonino/GettyImages
Redaktion

Hilfe bei Übergängen – Stress bei Kindern in Übergangssituationen erkennen und minimieren

Wechsel von einer Situation in eine andere können für Kinder Stress bedeuten. Was können Fachkräfte tun, um ihnen die kleinen Übergänge des Alltags zu erleichtern?

Text: Silke Kaiser
Bild: © Juanmonino/GettyImages

Mira (15 Monate) ist seit drei Monaten in der Kinderkrippe „Vogelnest“. Den pädagogischen Fachkräften fällt auf, dass Mira regelmäßig nach dem Wickeln ziellos durch den Raum läuft oder in der Nähe der Bezugsfachkraft
bleibt, anstatt weiterzuspielen wie vor dem Wickeln. Kennen Sie solche oder ähnliche Situationen? Wie könnten die Fachkräfte Mira unterstützen? Mira befindet sich in einer Übergangssituation, hier vom Wickeln zum Freispiel. Eine Übergangssituation, wie es in einer Kinderkrippe täglich zahlreiche gibt: Die Kinder werden am Morgen in die Krippe gebracht
und verabschieden sich von den Eltern. Nach dem freien Spiel findet das gemeinsame Frühstück statt. Nach weiterem Spiel gibt es Mittagessen, danach wird Mittagsruhe gehalten. Immer wieder endet eine Situation
und geht in eine andere über. Im Gruppenalltag finden viele solche kleineren Übergänge (Mikrotransitionen) wie diese statt. Sie lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:

  1. Wechsel von Räumen, wie
    - vom Gruppenraum zum Waschraum,
    - von drinnen nach draußen,
    - von einer Etage in eine andere, mit Bewältigen von Fluren und Treppen.
  2. Wechsel von Aktivitäten (bezogen auf Alltagsroutinen), wie
    - vom Essen zum Schlafen,
    - vom Spielen zum Aufräumen oder zum
    Wickeln.
  3. Wechsel von Personen, wie
    - bei der morgendlichen Begrüßung von den Eltern zur Fachkraft und am Nachmittag wieder zurück,
    - beim Schichtwechsel von der Bezugspädagogin, die in der Frühschicht arbeitet, zu einer Nachmittagskraft (vgl. Gutknecht &
    Kramer, 2018, S. 11).

Wie können pädagogische Fachkräfte diese zahlreichen Wechsel, die potenziell Stress bei Kleinkindern auslösen können, erkennen und möglichen Stress mindern?

Übergangssituationen erkennen

Zunächst einmal gilt es, grundsätzlich ein Bewusstsein für die potenziell Stress auslösenden Mini-Übergangssituationen zu entwickeln. Dazu können in einem ersten Schritt gemeinsam im Team alle täglich stattfindenden
Mikrotransitionen notiert und benannt werden.

Abläufe, Strukturen, Rituale festelegen

Um den Stress für die Kinder zu reduzieren, kann das Team dann Abläufe für diese Situationen festlegen, die Sicherheit und Geborgenheit geben. So weiß jedes Kind, „wie das bei uns so ist“, egal welche Fachkraft gerade da ist. Auch den Fachkräften, denen Übergangssituationen ja auch einiges abverlangen können, helfen klare Strukturen, Regeln und Rituale. Beim Übergang vom Mittagessen zum Mittagsschlaf gibt es vielleicht Streit um ein Kuscheltier. Bei einer unachtsamen Verabschiedung am Morgen bekommt das Kind vielleicht gar nicht mit, dass der Vater geht, und weint untröstlich. Hier kann durch kluge Entscheidungen und angemessene Verlaufsplanung für alle Beteiligten Stress reduziert und gleichzeitig durch klare, transparente Abläufe den Kindern Sicherheit vermittelt werden.

Feinfühlig begleiten

In der konkreten Übergangssituation kommt es darauf an, dass die pädagogische Fachkraft den Übergang achtsam gestaltet (das beginnt bereits bei der für die Kinder verständlichen Ankündigung des anstehenden Übergangs) und ihr Antwortverhalten auf die Signale der
einzelnen Kinder feinfühlig abstimmt: Welches Kind zeigt Stresssymptome, indem es an gespannt wirkt, quengelt, weint, sich zurückzieht, körperliche Nähe zur Fachkraft sucht? Hier liegt die Herausforderung darin, sowohl die Gruppe im Blick zu behalten und den Übergangsprozess der gesamten Gruppe feinfühlig zu begleiten als auch für das einzelne Kind ein angemessenes Antwort verhalten auf körperlicher, mimischer, gestischer
und verbaler Ebene zu gestalten.

Kleinkinder brauchen Unterstützung bei der Regulation ihrer eigenen Emotionen in Stresssituationen: Nimmt die Fachkraft den Stress des Kindes wahr? Rea giert sie feinfühlig (d. h. prompt und angemessen) darauf? Durch eine angemessene Ko-Regulation der Emotionen des Kindes durch die Fachkraft fühlt sich das Kind getröstet und sicher. Mittelfristig kann es so für die Zukunft lernen, seine eigenen Emotionen zu regulieren. Neben dem verbalen Begleiten des Übergangs mit
Worten können Fachkräfte den Ablauf mit Bildern veranschaulichen, die an der Wand auf Kinderhöhe angebracht sind.

Eine bewusste achtsame Interaktionsgestaltung und ein besonderes Augenmerk gerade auch auf die Übergangssituation beinhaltet eine Begleitung auf Augenhöhe. Sich auf die Höhe des Kindes begeben, es freundlich anschauen, mit ruhigen Worten sprechen, zur
Beruhigung sanft berühren hilft Kindern, Übergangssituationen
möglichst stressfrei zu bewältigen. Sicherheit vermitteln außerdem Sprüche und Lieder, die regelmäßig eingesetzt eine Orientierung für den Ablauf bieten können.

Resilienz stärken

Da Übergangssituationen Herausforderungen für Kleinkinder beinhalten, bieten sie sich an, die Resilienz (seelische Widerstandskraft) der Kinder zu fördern. In einem weiter gefassten Verständnis können Kinder durch viele unzählige im Alltag (erfolgreich) bewältigte kleinere Stresssituationen Bewältigungskompetenzen erwerben, um auch großen Herausforderungen und Krisen des Lebens standzuhalten – indem sie gelernt haben, auf sich zu vertrauen, indem sie sich Hilfe holen können, indem sie sich eingebettet fühlen in eine Sicherheit und Geborgenheit spendende Umgebung. Mit besonderem Augenmerk auf die Resilienzfaktoren Selbstwahrnehmung, Selbstregulation, Selbstwirksamkeit, soziale Kompetenzen, Problemlösefähigkeiten und Umgang mit Stress (vgl. Rönnau-Böse & Fröhlich-Gildhoff, 2015) kann so die Resilienz von Kindern alltagsintegriert gestärkt werden.

Sicherheit geben

Mira aus dem Eingangsbeispiel wird im Übergang vom Wickeln zum freien Spiel angemessen unterstützt, wenn die Fachkraft achtsam mit dem Übergang umgeht. Sie verbalisiert an Miras statt und begleitet Mira
in den Raum, führt sie vielleicht zu einer anderen Kindergruppe oder fragt Mira, was sie spielen möchte oder ob sie ihr bei einer Tätigkeit helfen möchte. Dabei geht sie auf Augenhöhe, blickt Mira an und spricht in angemessenem Tempo mit freundlicher Mimik und zugewandter Körperhaltung. Wenn Mira die Begleitung der Fachkraft benötigt, bleibt diese so lange dabei, bis Mira sich auf eine ihr angemessene Beschäftigung
einlassen kann. So bietet die Fachkraft Mira Sicherheit und unterstützt sie dabei, die Übergangssituation gut zu bewältigen.

Literatur

Gutknecht, D. & Kramer, M. (2018): Mikrotransitionen in der Kinderkrippe. Übergänge im Tagesablauf achtsam gestalten. Freiburg: Herder.
Kaiser, S. (2020): Resilienzförderung bei Kindern unter drei Jahren. Ein Weiterbildungsprogramm für pädagogische Fachkräfte. Wiesbaden: Springer.
Rönnau-Böse, M. & Fröhlich-Gildhoff, K. (2015): Resilienz und Resilienzförderung über die Lebensspanne. Stuttgart: Kohlhammer.

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