24.02.2021

„Digitalisierung ist kein Wundermittel“ – Über digitale Medien

Beim Waldspaziergang Fotos mit dem Tablet machen, Infor­mationen aus dem Internet holen oder Lieder bei YouTube ansehen: Kinder wachsen heute mit digitalen Medien auf. Umso wichtiger ist es, sich hiermit auseinanderzusetzen, sich einen sinnvollen Einsatz in der Kita zu überlegen und mit Vorurteilen aufzuräumen.

klein&groß: Was liegt Ihnen bei Medienpädagogik bei jungen Kindern am Herzen?
Dr. Helen Knauf: Gelassenheit! Wir sollten gelassen auf das Thema schauen. Digitale Medien sind weder Heilsbringer noch Vorboten der Apokalypse. Sie sind vielmehr das, was wir daraus machen. Unser Anliegen muss es sein, Medien in den Dienst der pädagogischen Arbeit zu stellen. Das bedeutet, Medien sollen dort zum Einsatz kommen, wo sie ko-konstruk­tive Bildungsprozesse bereichern. Beispielsweise, wenn Kin­der im Internet Antworten auf ihre Fragen suchen, wenn sie ihre Spiele oder Projekte mit Fotos dokumentieren oder wenn sie mit Hilfe des Tablets eine Geschichte verfilmen.

k&g: Welche Ziele sollte der Einsatz von Medien in der Kita verfolgen?
Dr. Knauf: „Das Kind hat 100 Sprachen“ schrieb Loris Malaguz­zi. Und beklagte, dass den Kindern 99 davon genommen wer­den. Digitale Medien können Kindern eine Sprache geben. Sie können Bildungsprozesse an verschiedenen Stellen berei­chern und zugleich die Möglichkeiten zur Teilhabe von Kin­dern erweitern. Beispielsweise, wenn sie über das Internet In­formationen bekommen. Oder wenn sie mit einer App zur Pflanzenbestimmung die Antwort darauf bekommen, welcher Baum das ist. Indem sie Fotos und Videos nutzen, können Kin­der ihre Perspektive einbringen, auch in Entscheidungsprozesse.
Ganz wichtig ist es mir festzuhalten, was nicht das Ziel des Einsatzes von Medien in der Kita ist: Es geht nicht darum, dass Kinder lernen, beispielsweise ein Tablet zu bedienen. Das kann ein Nebeneffekt sein, aber nicht das Ziel. Und es geht auch nicht darum, dass Kita-Kinder in der Kita Lern- und Spie­le-Apps nutzen. Vielmehr sollen sie Handy, Tablet und Com­puter als Instrumente kennenlernen, mit denen sie ihr Wissen und ihren Handlungsspielraum erweitern können.

k&g: Sie haben sich sehr intensiv mit Medien in der Frühpädago­gik beschäftigt. Was sind Ihre wichtigsten Erkenntnisse, die Sie gerne weitergeben möchten?
Dr. Knauf: Mit digitalen Medien ist unheimlich viel möglich und es ist faszinierend, was einige Einrichtungen hier auf die Beine stellen.
Aber Digitalisierung ist auch kein Wundermittel: Durch Digi­talisierung wird aus einer schlechten Pädagogik keine gute. Es kommt also darauf an, wie und wo man digitale Medien einsetzt.
In den letzten Jahren habe ich mich vor allem damit befasst, welche Bedeutung digitale Medien für die pädagogischen Fachkräfte in Kitas haben.
Dabei sind verschiedene Dinge deutlich geworden: Digitale Medien können in manchen Teams einen echten Motivations­schub auslösen. Wenn alle sich für neue digitale Werkzeuge begeistern können und Ideen für kreative Projekte mit Medi­en liefern, kann mit viel Freude und Begeisterung gearbeitet werden. Und das strahlt dann auch in die herkömmliche päd­agogische Arbeit hinein und bereichert sie.
Andererseits gibt es auch viele Hürden, wie etwa eine man­gelnde Geräte- und Internetausstattung. Oder unklare Rege­lungen beim Datenschutz. Das verleidet vielen Fachkräften die Arbeit mit Medien. Hier sind die Träger gefragt.
Und natürlich gibt es auch viele Fachkräfte mit großen Vorbe­halten. Diese Vorbehalte muss man ernst nehmen. Sie können aber auch eine positive Dynamik ausbremsen und zu Frustra­tionen führen. Mit einem Klischee möchte ich jedoch aufräu­men: Aufgeschlossenheit bzw. Ablehnung hängen nicht auto­matisch mit dem Alter zusammen – es gibt 60-jährige Digitalpionier*innen in den Kitas ebenso wie 20-jährige Medienskeptiker*innen.

k&g: Haben Sie einen Praxisimpuls für unsere Leser*innen, den sie mit ihren Kita-Kindern und Medien umsetzen könnten?
Dr. Knauf: Aktuell befinden sich immer wieder Kinder und Fachkräfte in Quarantäne. Um die Verbindung nicht abreißen zu lassen, können Video-Anrufe getätigt werden. Kinder kön­nen dann einfach von zu Hause aus im Morgenkreis dabei sein. Bei einer Studie, die ich vor einigen Jahren in einem Kin­dergarten in den USA durchgeführt habe, wurde regelmäßig mit Kindern und Familien in anderen Ländern geskypt. So konnten die Kinder ganz unmittelbar Gespräche mit Kindern in anderen Ländern führen oder sich gegenseitig ein Spiel oder Lied zeigen, dass sie mögen. Dort wurden auch Expertin­nen und Experten per Videoanruf in die Kita geholt – gerade jetzt, wo die Videotelefonie immer selbstverständlicher wird, gibt es dort viele neue Chancen. Aber gerade hier sieht man die Grenzen von digitalen Medien: Sie ersetzen nicht die reale Gemeinschaft.

Dr. Helen Knauf, Professorin für Kindheitspädagogik an der Fachhochschule Bielefeld. (Digitale) Medien waren und sind für sie schon lange ein wichti­ges Thema, sowohl in der Forschung als auch in der Lehre. Ihre weiteren Ar­beitsschwerpunkte sind Bildungsdokumentation und Familie – beides The­men, die sich durch die Digitalisierung verändern.
Kontakt: www.helen-knauf.de

Literatur: Knauf, Helen: Bildungsbereich Medien. Vandenhoek & Ruprecht 2010

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