29.03.2022
Monika Laut-Zimmermann

Wissen hilft bei der Beurteilung

Fachkräfte brauchen detaillierte Kenntnisse, um Kindeswohlgefährdung richtig zu erkennen. Pläne erleichtern das Handeln auf diesem wichtigen Feld.

Über einen längeren Zeitraum schmutzige oder nicht wettergerechte Kleidung, Rötungen im Windelbereich, immer wieder ein blauer Fleck und dazu ein ambivalentes Verhalten des Kindes in Bring- und Abholsituationen: All das können Anzeichen von Vernachlässigung oder Gewalt sein. Pädagogische Fachkräfte wissen genau, was Kinder brauchen, um sich gesund entwickeln zu können. Sie stehen täglich in engem Kontakt mit ihren Bezugskindern und beobachten Entwicklungs-, aber auch Rückschritte der Kinder oder stellen Veränderungen im Verhalten fest. Im besten Fall kennen sie die Familiensituation der Kinder. Oft stellen sich Fachkräfte die Frage, wo genau eine Kindeswohlgefährdung beginnt. Immer wieder machen kleine Beobachtungen stutzig, werden zuweilen aber wieder vergessen. Einigen Fachkräften fehlt das Wissen, anderen wiederum der Mut und der Rückhalt, um einen Kinderschutzfall zu erkennen und zu thematisieren. Was brauchen Fachkräfte, um von einem „komischen Bauchgefühl“ zu einer objektiven Einschätzung zu kommen? Vor allem in Anbetracht dessen, dass die Formen der Kindeswohlgefährdung sehr vielseitig sind. Für die richtige Bewertung sind nötig:

  •  viel Sensibilität
  •  eine gute Beobachtungsgabe
  •  spezifisches Fachwissen
  • und vor allem eine gute Form der Dokumentation

All das können Fachkräfte in Fort- und Weiterbildungen erlernen. Zudem brauchen Kita-Mitarbeitende:

  • die Möglichkeit, sich im Team auszutauschen
  • eine Kitaleitung die ein offenes Ohr für die Sorgen des Teams hat
  • ein Klima in dem Kinderschutz offen angesprochen, reflektiert und dadurch enttabuisiert wird.

Aus all diesen Gründen müssen Einrichtungen und Kitaleitungen den Kinderschutz als Querschnittsthema in der Kitaarbeit verstehen und die eigene Arbeit mit Blick auf den Kinderschutz regelmäßig reflektieren:

  • Gibt es in der Einrichtung eine Fachkraft für Kinderschutz? Diese kann im Bedarfsfall angesprochen werden und informiert regelmäßig in den Teamsitzungen.
  • Ist die Einrichtung gut vernetzt und nimmt teil an Treffen zum Thema Kinderschutz, die von Jugendämtern oder anderen Einrichtungen organisiert werden?
  • Hat die Einrichtung ein eigenes Kinderschutzkonzept, das an neue Mitarbeitende überreicht wird? Wenn nicht, wie werden diese auf den neuesten Stand gebracht?
  • Sind alle Fachkräfte im Team auf dem gleichen Stand und wissen, wie sie im konkreten Fall handeln müssen? Laden Sie für solche Informationen Fachleute des Jugendamtes in Ihre Einrichtung ein.

 

Prävention

Neben passenden Rahmenbedingungen und dem Wissen über Kinderschutz geht es um Reflexionen darüber, wie Kinder in der Einrichtung gesehen und gehört werden:

  • Haben die Mädchen und Jungen Möglichkeiten, sich zu beschweren? Das kann ein Beschwerdebriefkasten sein, in den Eltern Wünsche der Kinder, deren Sorgen aber auch Beschwerden hineingeben können.
  •  Wie werden Kinder bei der Alltagsgestaltung der Kita gehört und was dürfen sie mitentscheiden?
  •  Gibt es für die Kinder auch Ansprechpartnerinnen, -partner außerhalb ihrer Gruppen, an die sie sich wenden können, wenn es nicht rund läuft?
  •  Werden die Kinder mit ihren Äußerungen ernst genommen und wie wird ihnen geholfen?

Beobachten und Dokumentieren

Oft bleibt es aus Unsicherheit bei einem komischen Bauchgefühl, bis der Fall endlich ernst genommen und dem Jugendamt gemeldet wird. Die Behörde fragt dann genau nach: Wer hat wann was gesehen? Wie oft haben die Fachkräfte die Eltern auf die Missstände angesprochen? Und manchmal sieht das Amt die Schuld schnell bei der Kita: Es wirft den Fachkräften schlechte Kommunikation oder mangelnde Aufsicht und Fürsorge vor. Oft kommt es zu einem Gerichtsverfahren. Dann hilft nur eine gründliche und gezielte Dokumentation. Wie die Fachkräfte ihre Beobachtungen dokumentieren, spielt keine Rolle. Denn jede Erzieherin, jeder Erzieher hat hier eigene Präferenzen. Ob Gruppenbuch, Karteikarten, Notizbücher oder eigenes Ordnersystem – ermuntern Sie Ihre Fachkräfte, Beobachtungen von Anfang an stichpunktartig zu notieren. Wichtig ist, folgendes festzuhalten:

  • Was wurde wann und wo beobachtet?
  • Wann und wie wurden die Eltern des Kindes darauf angesprochen?
  • Wie war deren Reaktion?
  • Hat die Einrichtung der Familie Gesprächstermine angeboten?
  • Haben die Eltern diese wahrgenommen?
  • Hat sich die Situation des Kindes danach verbessert?

 Tipp

Jede Einrichtung muss Dienstpläne und Anwesenheitslisten der Kinder archivieren. Dokumentieren Sie zusätzliche Dienste mit, zum Beispiel:

  • Wie gewährleisten Sie, dass alle Kinder zu jeder Zeit frisch gewickelt oder zur Toilette begleitet werden, sodass sie sauber abgeholt werden können?
  •  Gibt es feste Punkte, an denen zum Beispiel auf dem Freigelände Fachkräfte die Aufsicht übernehmen?

Das Team auffangen

Jeder Verdachtsfall löst unterschiedliche Emotionen bei den Fachkräften aus. Auch wenn Klarheit und Eile geboten sind, fällt es oft schwer, die nötige Distanz zu wahren und die persönliche Betroffenheit außen vor zu lassen. Schaffen Sie den nötigen Raum, um im Team über persönliche Emotionen zu sprechen: Dies schafft Entlastung und macht jeden Einzelnen und jede Einzelne handlungsfähig.  

Auf einen Blick - FRAGEN ZUR SELBSTREFLEXION DES TEAMS

  • Wie geht es mir, wenn ich von einem Kinderschutzfall erfahre?
  • Welche Gefühle entstehen bei mir in solch einer Situation?
  • Kann ich über diese Gefühle reden?
  • Fühle ich mich stark genug, mit Eltern zu sprechen, wenn ich einen Verdacht auf Kindeswohlgefährdung habe?
  • Kann ich das Elterngespräch so führen, dass ich den Verdacht weder verharmlose noch dramatisiere?
  • Welche Unterstützung wünsche ich mir, um in solchen Situationen professionell handeln zu können?

LITERATUR
https://bage.de/publikationen/bage-kinderschutzleitfaden/

Monika Laut-Zimmermann ist Facherzieherin für Sprache und Integration und leitet eine inklusive Einrichtung in Berlin.

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