07.09.2022
Jutta Kittner

Stress lass nach

Nimmt das überhaupt nochmal ein Ende? Die Rede ist von stressigen Situationen. Die gibt es in der Kita zuhauf. Sei es wegen anstrengender Eltern, weil die Gruppen zu groß sind oder es Konflikte im Team gibt. Die Person, die Ihnen jetzt am besten helfen kann? Sie selbst! Wie das funktioniert, erfahren Sie in diesem Artikel.

Beschäftigte in Kitas sind vielfältigen Belastungen ausgesetzt. Zum einen haben Kinder, Eltern und Kostenträger ihre eigenen Wünsche und Erwartungen. Zum anderen haben Fachkräfte selbst zumeist eine hohe intrinsische Motivation. Damit meint man, dass der Antrieb, etwas zu tun, aus dem eigenen Inneren kommt. Die Pandemie hat in den vergangenen zwei Jahren zusätzlich für neue Herausforderungen, Gefährdungen und Unsicherheiten gesorgt. In diesem Artikel lernen Sie Strategien kennen, um mit Belastungen gut umzugehen.

Stress – was ist das eigentlich?

Stressreaktionen sind eine Antwort auf Belastungen. Dabei spielt es keine Rolle, ob dieser Druck von außen kommt oder sich in unserem Inneren abspielt. Inwiefern wir eine Situation belastend finden, hängt davon ab, wie wir sie bewerten. Wenn wir glauben, dass Gefahr droht, produziert unser Körper Stresshormone. Das ist grundsätzlich positiv, denn Stresshormone aktivieren körperliche und psychische Leistungsreserven, sodass wir besondere Herausforderungen gut bewältigen können. Viele dieser Herausforderungen machen uns auch Spaß, wir strengen uns an und freuen uns über ein gutes Ergebnis. Dann produziert unser Körper Glückshormone und wir sind wieder in einem hormonellen Gleichgewicht. Zum Problem werden Stressreaktionen, wenn sie häufig oder über einen langen Zeitraum auftreten. Dann können sie chronisch werden und wir haben ein erhöhtes Krankheits- und Erschöpfungsrisiko.

Folgende Auswirkungen sind möglich:

Körperliche Reaktionen:

Das Herz-Kreislauf- System wird aktiviert, Puls und Blutdruck steigen, der Atem wird schneller, die Muskeln spannen sich an.

Emotionale Reaktionen:

Wir entwickeln Gefühle von Angst, Ärger, Enttäuschung, Wut oder Verzweiflung.

Mentale Reaktionen:

Wir entwickeln Konzentrationsstörungen, fangen an zu grübeln, haben immer mehr negative Gedanken.

Verhaltensreaktionen:

Wir werden hektisch, gereizt, machen keine Pausen mehr, ernähren uns ungesund.

Was wir brauchen, ist ein guter Mix aus Herausforderungen, die wir bewältigen können, sowie Erholungs- und Entspannungszeiten. So bleiben wir über einen langen Zeitraum leistungsfähig und zufrieden. Wie das gelingt? Am Anfang steht die Analyse:

Frage 1: Was stresst mich?

  •  Lärm
  • zu große Gruppen
  • zu wenig Personal
  • herausfordernde Kinder
  • herausfordernde Eltern
  • Konflikte im Team
  • zu viele Aufgaben
  • keine Zeit für Pausen
  • keine klaren Regeln und Absprachen

Die Liste lässt sich beliebig verlängern. Wichtig ist, die persönlichen Stressoren zu erkennen.

Frage 2: Wodurch setze ich mich unter Stress?

  • Ich will es allen recht machen.
  • Ich habe einen Perfektionsanspruch.
  • Ich lasse mir nicht helfen.
  • Ich muss um jeden Preis durchhalten.
  • Ich sehe oft nur das Negative.
  • Ich male mir immer die schlimmsten Konsequenzen aus.
  • Ich neige dazu, Dinge persönlich zu nehmen.
  • Ich fühle mich übermäßig verantwortlich. Auch hier sind persönliche Überlegungen wesentlich, um herauszufinden, welche stressverstärkenden Einstellungen bei mir wirksam sind.

Frage 3: Wie reagiere ich bei Stress?

  • Ich habe Kopf-, Rücken-, Nackenschmerzen.
  • Ich rauche mehr.
  • Ich esse mehr Schokolade.
  • Ich bin oft gereizt.
  • Ich schlafe schlecht.
  • Ich bin ungerecht zu anderen.
  • Ich ziehe mich immer mehr zurück.
  • Ich weine oft.
  • Ich kann mich nicht mehr so freuen.

Bei dieser Frage sind ebenfalls vielfältige persönliche Reaktionen möglich. Vielleicht bekommen wir ja auch Rückmeldungen von anderen, dass wir uns verändert haben. Dafür sollten wir dankbar sein und es als Chance sehen.

Ich bin gestresst, ja und!

Diese Analyse ist Voraussetzung für einen guten Umgang mit Stress. Wir haben dementsprechend drei Handlungsoptionen:

Option 1: Ich verändere die stressauslösenden Situationen

Oft ist unser erster Impuls: Das geht doch gar nicht. Deshalb folgen ein paar Beispiele, was man tun kann, um die Lage zu verbessern.

Beispiel 1: Lautstärke reduzieren

Arbeitnehmer haben einen Anspruch auf Gesundheitsschutz, dazu gehört auch der Schutz vor übermäßigem Lärm. Allerdings sind Kinder laut und müssen sich entfalten. Aber: Die Kita ist ein Ort des Zusammenlebens, an dem sich Kinder und Beschäftigte wohlfühlen sollen. Wie kann das zusammen gehen?

Eine Möglichkeit: Eine Lärmampel installieren. Bei steigendem Pegel schaltet diese auf Gelb, bei zu hohem auf Rot. Die Schwellenwerte können die Beschäftigten selbst einstellen und jeder kann den Lärmpegel sehen. Das allein kann schon dazu führen, dass alle leiser sind und sich der Lärmpegel senkt. Zusätzlich kann man Vereinbarungen und Regeln festgelegen, was zu tun ist, springt die Ampel auf Gelb oder Rot um.

Eine weitere Option ist es, in bestimmten Situationen einen Gehörschutz zu tragen. Das ist vielleicht am Anfang ungewohnt, aber erfahrungsgemäß werden Menschen recht schnell damit vertraut. Oder gibt es die Möglichkeit, die Gruppenräume schallmindernd einzurichten? Sind genügend Textilien oder andere Materialien vorhanden, die den Schall schlucken? Gibt es Rückzugsräume für Kinder und Erwachsene mit eigenen Regeln, beispielsweise dass man dort nur leise spricht? Wie ist das Sprachverhalten der Beschäftigten? Eine sprachliche Grundlautstärke von Mitarbeitenden fördert auch die Lautstärke der anderen Menschen im Raum. Können diese Personen trainieren, leiser, langsamer und weniger zu sprechen? Wir können auch gezielt pädagogische Mittel einsetzen, um Lärm zu reduzieren. Klassische Musik hat diesen Effekt, ebenso wie leise ein Lied zu singen, eine Yogaübung, Klangschalen oder Zimbeln. Auch eine Flüsterrunde kann Lärm vorübergehend reduzieren.

Beispiel 2: Zu viele Aufgaben

Die meisten Kitas planen ihre Arbeit im Jahres-, Monats- und Wochenrhythmus. Dabei orientieren sie sich an den Jahreszeiten, den wiederkehrenden Festen sowie den Traditionen der Einrichtung. Zu Beginn des Kitajahres werden neue Kinder aufgenommen, vor den Sommerferien die Schulkinder verabschiedet. Es gibt eine Kitareise, ein Sommerfest, eine Weihnachtsfeier, den Laternenumzug, die Ostereiersuche, Eltern- Kind-Nachmittage, Übernachtungsfeiern mit anschließendem Elternfrühstück, Fortbildungstage und vieles mehr. In den vergangenen Jahren hat pandemiebedingt vieles davon nicht stattgefunden. Haben Sie das möglicherweise als Erleichterung empfunden?

Wie sieht der Tagesablauf in der Kita aus? Werden die Kinder pünktlich gebracht und abgeholt? Oder wird der Ablauf durch Nachzügler immer wieder gestört? Halten sich die Eltern an Regeln oder muss man diese ständig aufs Neue diskutieren? Gibt es viele Tür-und-Angel-Gespräche, die zu unübersichtlichen Situationen in der Gruppe führen? Überziehen manche Kolleg:innen regelmäßig ihre Pausen? Welche Rituale gibt es noch? Welche Erwartungen haben die Eltern und der Träger? Hier können Sie Rituale und Gewohnheiten überprüfen. Es gibt Kitas, die nicht mehr jedes Jahr ein Sommerfest veranstalten und das gegen den Wunsch der Eltern durchgesetzt haben. Wenn man die Entlastung der Mitarbeitenden wirklich konsequent umsetzen möchte, gehören alle Rituale auf den Prüfstand. Auch das Konzept der Einrichtung kann man an dieser Stelle reflektieren. Die Arbeit soll allen Freude bereiten, deswegen ist es gut, die speziellen Kompetenzen, Begabungen und Vorlieben der Beschäftigten zu nutzen und in die Arbeit zu integrieren.


Ziel der Option 1 ist es, die stressauslösenden Situationen zu verringern oder auszuschalten. Das heißt, der Blick geht nach außen auf die Stressoren. Es gibt viele Möglichkeiten, Situationen zu verändern:

  • Gesprächstechniken und Konfliktbewältigungstechniken erlernen und anwenden
  • Zeitmanagementsysteme nutzen
  • Aufgaben im Team anders verteilen
  • Für ausreichend Pausen im Arbeitsablauf sorgen
  • Klare Regeln aufstellen und auch einhalten
  • Eingaben beim Träger machen
  • Besprechungen klar strukturieren und Zeitlimits einhalten

Für die Entwicklung von Ideen für die eigene Kita eignen sich die Fortbildungstage. Hier haben Leitung und Beschäftigte Zeit und Muße, sich zu überlegen, was ihnen wichtig ist, was gut funktioniert und was sich ändern soll. Eine externe Moderation ist sinnvoll, um diesen Prozess zu strukturieren. Hierbei sollte man die Gelegenheit nutzen, die Beschäftigten wertzuschätzen, indem man sie an diesem Tag verköstigt und sie nicht selbst für ein Büffet sorgen müssen.

Option 2: Ich verändere mich selbst und meinen Umgang mit Stress

Wenn wir die Situation nicht verändern können, müssen wir anders damit umgehen, möchten wir Stressreaktionen reduzieren. Wir haben alle im Laufe unseres Lebens bestimmte Werte, Überzeugungen, Charaktermerkmale entwickelt, die sogenannten Glaubenssätze oder inneren Antreiber. Diese steuern unser Denken und sorgen dafür, dass wir uns auf eine ganz bestimmte Art und Weise verhalten, ohne lange darüber nachzugrübeln. Das ist im Alltag notwendig und entlastend. Es kann aber ebenso dazu führen, dass wir uns Denkmuster und Verhaltensweisen angewöhnt haben, die hinderlich und stresserzeugend oder -verschärfend sind. Die wichtigsten dieser Antreiber sind folgende Überzeugungen und inneren Befehle (vgl. Kaluza 2015):

  • Sei perfekt!
  • Sei beliebt!
  • Sei stark!
  • Sei vorsichtig!
  • Halte durch!

Wichtig: Diese fünf Antreiber sind grundsätzlich positiv. Gute Arbeit machen zu wollen, hilfsbereit zu sein, sich anzustrengen, aufzupassen und die Zähne zusammenzubeißen sind wichtige Eigenschaften, um beruflich und persönlich erfolgreich und zufrieden zu sein. Die Gefahr liegt in der Übertreibung. Wenn ich perfektionistisch werde, schaffe ich vielleicht meine Arbeit nicht mehr. Will ich es immer allen recht machen, zerreibe ich mich zwischen den verschiedenen Anforderungen und verliere mich am Ende selbst. Wenn ich mir zu schwere Aufgaben vornehme oder nicht um Hilfe bitte, habe ich Misserfolge. Bin ich übervorsichtig und habe wenig Vertrauen in andere Menschen, wage ich mich nicht an Neues und Ungewohntes heran. Wenn ich durchhalte um jeden Preis, obwohl ich eigentlich nicht mehr kann, schade ich mir selbst. Es geht also darum, diese schädlichen Übertreibungen von an sich guten Eigenschaften zu verhindern. Wie gelingt das?

Auch hier ist der erste Schritt das Erkennen und Bewusstmachen. Es hilft außerdem, sich ehrliches Feedback von anderen zu holen. Und dann geht es darum, den guten Anteil am jeweiligen Antreiber zu erhalten. Nur die Übertreibung schadet!

Ich kann mir Fragen stellen:

  1. In welchen Situationen hat mir dieser Antreiber geholfen? Wo war er förderlich? Wie hat er mich zu der Person gemacht, die ich jetzt bin?
  2. In welchen Situationen hat mir dieser Antreiber geschadet? Wo war er hinderlich und störend?
  3. Welchen neuen Satz will ich stattdessen entwickeln?

So ein neuer Satz kann zum Beispiel lauten:

  • So gut wie möglich, so gut wie nötig.
  • Auch ich darf Fehler machen.
  • Ich darf „Nein“ sagen.
  • Ich darf andere enttäuschen.
  • Ich gebe anderen die Chance mich zu unterstützen.
  • Ich darf meine Gefühle zeigen.
  • Ich akzeptiere, was ich nicht ändern kann.
  • Ich bleibe gelassen, auch wenn ich nicht weiß, was kommt. Ich habe schon ähnliche Situationen gemeistert.
  • Das geht auch wieder vorüber.

Solche neuen Sätze erlauben es uns, zukünftig anders mit Stresssituationen umzugehen. Wichtig: Dieser Prozess dauert seine Zeit und erfordert Geduld und Nachsicht mit sich selbst. Aber wir können dieses Mentaltraining nicht nur für uns alleine machen. Auch als Team in der Kita können wir uns diese Fragen stellen und neue Glaubenssätze entwickeln. So kann es uns gelingen, nach und nach den Stress zu reduzieren sowie gesund, leistungsfähig und fröhlich in unsere Einrichtungen zu gehen und den Kindern gerecht zu werden.

Option 3: Ich erhole und entspanne mich und habe einen Ausgleich

Wie das aussieht, erfahren Sie in der nächsten Ausgabe (10/2022) der Klein&groß.

Jutta Kittner, Erzieherin und Diplom-Sozialpädagogin. Sie ist selbstständige Trainerin und Coach für Kommunikation, Konfliktmanagement, Stressbewältigung und Karriereplanung. Kontakt: www.juttakittner.de

Literatur:

Greine, Rita: Stress war gestern! Mehr Gelassenheit im Kita-Alltag. Cornelsen 2010
Kaluza, Gert: Gelassen und sicher im Stress. Springer 2015
Schulz von Thun, Friedemann: Miteinander reden 2. Rowohlt Taschenbuch 2008

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