17.01.2023
Petra Engelsmann

Rückgrat zeigen

Als Leitung muss man sich klar positionieren. Das ist nicht immer einfach, weiß unsere Autorin.

Als Leitung souverän auftreten? Wenn Sie mich fragen: keine leichte Aufgabe. Heute kann ich auf 15 Jahre Leitungserfahrung zurückblicken und fühle mich selbstbewusst. Aber das war nicht immer so. In meinen ersten Monaten als Leitung war ich bestimmt alles andere als souverän.

Souverän zu sein bedeutet, sicher zu sein und seine eigene Meinung klar zu vertreten. Wer souverän ist, der lässt sich nicht von anderen Menschen verunsichern. Das hört sich einfach an, doch wenn es um die Bedürfnisse von Kindern oder um das Zusammenspiel von Teammitgliedern und um die Kooperation mit den Eltern geht, ist es leichter gesagt als getan. Als ich meine erste Leitungsstelle annahm, war ich 27 Jahre jung. Das Team bestand aus zwei pädagogischen Fachkräften, die die kleine Kita mit aufgebaut hatten, und einer Praktikantin. Zu viert betreuten wir rund 40 Kinder.

Aus alt mach neu

Eine der größten Hürden war damals für mich, die beiden langjährigen Kolleginnen für neue pädagogische Aspekte zu motivieren. Ich wollte, dass wir alte Strukturen überdenken und den Alltag kindgerechter gestalten. Etwa beim Thema Essen. Die Kolleginnen hielten daran fest, dass alle Kinder jedes Essen probieren und ihre Teller leer essen mussten. Allerdings war dieser Ansatz längst überholt. Kindgerecht hieß hier für mich, gemeinsam mit den Kindern Mahlzeiten zuzubereiten und sie entscheiden zu lassen, ob sie nur Apfel oder auch Gurke essen möchten. Die beiden Kolleginnen hatten bereits seit sieben Jahren nach festen Strukturen gearbeitet und ihre Routine gefunden: feste Zeiten für den Gang auf die Toilette, feste Zeiten beim Essen, feste Tagesabläufe. Doch mit einer stets wechselnden Kindergruppe und wenn die Kinder älter werden, braucht es neue Regeln. So kam es, dass der Träger der Kita mich mit der Bedingung einstellte, aus der kleinen Einrichtung mit zwei Gruppen, ein offenes Haus zu machen. Es sollten Funktionsbereiche entstehen und alle Kinder sollten alle Räume nutzen können. Für mich eine wundervolle Vorstellung. Für die Kolleginnen allerdings nicht. Ich musste beide für die, aus ihrer Sicht, „neue“ Pädagogik gewinnen.

Es sind nie alle glücklich

Rückblickend kann ich sagen, dass ich hier viel lernen durfte. Früher versuchte ich oft, es allen recht zu machen. Das führte dazu, dass ich mit dem Team lange diskutierte, bevor wir zu einem Konsens kamen. Mit der Zeit legte ich diese Haltung ab. Ich habe aufgegeben, alle glücklich machen zu wollen. Und stattdessen begonnen, klarer und zielorientierter zu argumentieren. Ich wusste, was ich wollte, und stand hinter meinen Ansichten. Ich hatte ein sichereres Standing gewonnen.

Wie ich das gemacht habe? Ich lernte, die Unzufriedenheit der Einzelnen anzunehmen und auszuhalten. Es gab immer wieder verschiedene Meinungen. Logischerweise waren manche Personen auch mit dem Kompromiss nicht zufrieden. Je nach Thema waren es immer andere Personen, die mal ein wenig grummelten. So lernten auch die Kolleginnen dazu und merkten, dass ich sie alle im Blick hatte, auch wenn wir nicht ihre Lieblingslösung wählten. Ich wollte meine einzelnen Teammitglieder wahrnehmen und sehen, das war mir sehr wichtig. Bei meinem Wechsel in eine andere Einrichtung, in der ich als Leitung 144 Kinder und 25 pädagogische Fachkräfte betreute, wurde dieses Standing noch einmal mehr gefordert. Etwa beim Schreiben von Dienstplänen: Den Teammitgliedern war Gerechtigkeit natürlich sehr wichtig.

Immer wieder stellten diese auf die Probe, ob ich die Früh- und Spätdienste gleichmäßig verteilt hatte. Hatten auch alle den Urlaub bekommen, den sie sich wünschten? Warum wurde ein Urlaub genehmigt, ein anderer nicht? Wieso bekam die eine Mitarbeiterin zwei Frühdienste und die andere keinen? Als Leitung musste ich einzelne Wünsche bündeln und auch hier den bestmöglichen gemeinsamen Nenner finden, um niemanden zu bevorzugen oder zu benachteiligen.

Kritik von den Eltern

Auch in der Zusammenarbeit mit den Eltern musste ich souverän auftreten. Vor allem dann, wenn sich Eltern bei mir über einzelne Fachkräfte beschwerten. In diesen Situationen war es besonders wichtig, nicht emotional, sondern sachlich zu reagieren. Ich stellte mir zuerst folgende Fragen: Was genau ist passiert? Welche Informationen habe ich? Fühlen sich die Eltern vernachlässigt oder nicht gesehen? Oder hat die Fachkraft den Eindruck, dass die Eltern ihre Arbeit nicht wertschätzen?

Eine Szene, an die ich mich gut erinnern kann: Die Eltern von Mia waren unzufrieden, weil Mia an warmen Herbsttagen immer wieder ohne Jacke im Garten spielte. Sie sorgten sich um die Gesundheit und hofften, dass sich ihre Tochter nicht erkältete. Für die Erzieherin war es jedoch wichtig, Mia in ihrer Selbstwahrnehmung zu fördern. Da sie viel im Garten rumrannte, war ihr warm und sie wollte keine Jacke anziehen. Obwohl die Erzieherin den Eltern genau das bereits mehrfach erklärt hatte, wendeten sich die Eltern an mich. Ich habe dann versucht, beide Perspektiven, die der Eltern und die der Fachkraft, wahrzunehmen. Das ist die Hauptaufgabe der Leitung – sie ist oft eine Vermittlerin.

In der Szene mit Mia musste ich mir früher oder später selbst eine Meinung bilden. Das bedeutete, dass ich mich möglicherweise gegenüber einer Seite unbeliebt machte. Das fordert Souveränität. Wem gebe ich recht? Kann ich das überhaupt? Mir war es in der Situation wichtig, beide Seiten anzunehmen und ihnen zu zeigen: „Ich verstehe euch.“

Im nächsten Schritt vermittelte ich den Eltern, was die Sichtweise der Erzieherin ist und wie unsere pädagogische Haltung in Bezug auf die Autonomie aussieht. Mit der Fachkraft sprach ich darüber, wie besorgt die Eltern sind und dass es wichtig sei, diese Sorgen ernst zu nehmen. Wir einigten uns, dass wir in der Kita Mia erst dann aufforderten, ihre Jacke wieder anzuziehen, wenn sie still am Sandkasten saß und dort längere Zeit sitzend spielte. Als Einrichtungsleitung muss ich mich immer wieder klar positionieren – das macht souveränes Handeln aus. Manchmal hat das zur Folge, dass man sich allein auf weiter Flur fühlt – ohne Rückendeckung. Das ist schwer auszuhalten – aber eben die Aufgabe einer Führungsperson. Was mir in diesen Momenten geholfen hat: ein offenes Ohr von anderen Leitungskolleg: innen.

Schließlich dürfen auch souveräne Leitungen einmal um Rat und Hilfe fragen.

Petra Engelsmann war 15 Jahre Einrichtungsleitung. Heute ist sie personzentrierte Beraterin und Dozentin. www.engelsmann-beratung.de.

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