07.12.2021
Dorothee Gutknecht

Ich verstehe dich! – Antworten auf Emotionen finden

In den ersten Lebensjahren lernen Kinder lernen nach und nach, immer mehr Emotionen auszudrücken und zu regulieren wie auch die Emotionen anderer zu verstehen. Eine einfühlsame Begleitung hierbei durch erwachsene Bezugspersonen unterstützt diese Entwicklung.

Franz weint und schreit. Er hat sich auf den Boden geworfen, weil Susanna, seine Tagesmutter, beim gemeinsamen Supermarktbesuch kein Eis für ihn kaufen wollte. Junge Kinder verfügen noch nicht über Sprache, aber sie kommunizieren in der Sprache der Emotionen. Hierfür sind sie von Beginn an gut vorbereitet. Am Lebensanfang können Kinder ihren Bezugspersonen bereits fünf Grundemotionen zeigen und darüber ihre Befindlichkeit mitteilen.

Appelle an das Gegenüber

Schon ein kleiner Säugling macht dabei im Austausch mit einfühlsamen Erwachsenen die Erfahrung, dass er mit dem körperlichen Ausdruck seiner Emotion etwas bewirken kann, dass Emotionen eine Art Appell mit der Bitte um Unterstützung oder Regulation an das Gegenüber darstellen. Jede Emotion bei Kindern und Erwachsenen ist mit einem charakteristischen Gesichts- und Körperausdruck verbunden. Auf ihrem Entwicklungsweg lernen Kinder 1. Emotionen vielfältiger Art körperlich auszudrücken und 2. die zum Ausdruck gebrachten Emotionen zunächst ihrer Bezugspersonen, später auch diejenigen der anderen Menschen zu lesen und zu verstehen, 3. außerdem Emotionen zu regulieren.

Erweiterung des Emotionsrepertoires

Das Emotions-Repertoire des Kindes erweitert sich mithilfe seiner Bezugspersonen sehr rasch. Sein emotionaler Ausdruck wird immer differenzierter und auch kulturspezifischer. Im Alter von drei Jahren verfügt das Kind bereits über vielfältige Emotionen. Besonders wichtig sind dabei die sozialen Emotionen wie Schuld, Scham oder Dankbarkeit. Das Kind verfügt mit den sozialen Emotionen über die Fähigkeit, nicht nur die eigenen Bedürfnisse, sondern auch die der anderen zu erkennen und soziale Regeln zu verstehen. Es fühlt sich beispielsweise stolz, wenn es etwas Wertgeschätztes getan hat, schuldbewusst, wenn es gegen Regeln verstoßen hat. Soziale Emotionen sind die Basis für Empathie. In der Tabelle sind Bewertung, Handlungsbereitschaft und sozialer Appell bei ganz unterschiedlichen Emotionen aufgeführt.

Emotionen passgenau beantworten und regulieren

Erwachsene haben vielfältige Aufgaben der Unterstützung. Sie helfen dem Kind nicht nur, ein großes, breites und kulturspezifisches Emotionsrepertoire aufzubauen, sondern auch, die aufkommenden Emotionen zu regulieren. Kleine Kinder fühlen sich noch oft überschwemmt von Emotionen. Sie sind auf Ko-Regulation der Bezugspersonen angewiesen. Erst im Laufe des Vorschulalters beginnen Kinder, sich nicht immer an ihre Bezugspersonen zu wenden, sondern Emotionen selbst zu regulieren.

Die zentralen Aufgaben der Bezugspersonen

Spiegeln

Zum Aufbau eines Emotionsrepertoires ist es zunächst zentral, das Kind über spiegelnde Kommunikation zu begleiten (Gutknecht 2015). Dies bezieht sich auf den emotionalen Ausdruck des Kindes in seiner Bewegung, Mimik und Gestik, aber auch in seinen Stimm- oder Lautäußerungen. Wenn Eltern oder eine Tagespflegeperson den Ausdruck des Kindes zurückspiegeln, benutzen sie dabei ganz intuitiv, also oft nicht bewusst, sogenannte Markierungen. Sie spiegeln zunächst die Emotion des Kindes und zeigen direkt anschließend den eigenen emotionalen Ausdruck und danach wieder die kindliche Emotion. Dadurch unterstützen sie das Kind darin, zwischen der eigenen Emotion und der des Gegenübers zu unterscheiden.

Sprachliche Fähigkeiten fördern

Emotionen können Kinder komplett überwältigen. In diesen Situationen sind Kinder oft sprachlich nicht zu erreichen, sprachliche Aussagen müssen dann sehr kurz sein. Es gilt, Ruhe und Halt auch nonverbal zu vermitteln, das Gefühl aber in kurzen Worten zu beschreiben: „Du bist wütend! Lorenz hat den Traktor weggenommen!“. Die Tagespflegeperson hilft dem Kind, Worte für seine Situation zu erlernen. Sie stärkt damit das Verstehen und gibt dem Ganzen eine Bedeutung (Zollinger 2015). Nicht-Verstehen führt zu Situationen, die eskalieren, darum muss sowohl das situative Verstehen als auch das sprachliche Verstehen unterstützt werden. Eine gute Gestaltung der Tagesübergänge (= Mikrotransitionen) ist deshalb so wichtig, weil sie oft mit für das Kind nicht nachvollziehbaren Spielunterbrechungen einhergehen. Sprachliche Vorankündigungen sind hier das A & O. Als Form der Konfliktassistenz benötigen Kinder den Erwachsenen als Modell für mögliche Konfliktlösungen.

Zeitverstehen

Zeitliche Vorstellungen wie gestern, heute, morgen, jetzt oder gleich baut das Kind erst mit wachsenden kognitiven Möglichkeiten auf (Bischof-Köhler 2000). Durch die Wiederholungen des Alltags, das wachsende Sprachverstehen und die begleitenden Worte der Tagespflegeperson gelingt es dem Kind zunehmend, die Abläufe mitzudenken und zu verstehen.

Bewertung, Handlungsbereitschaft und sozialer Appell bei unterschiedlichen Emotionen

Emotion Bewertung des Emotionsanlasses Handlungsbereitschaft Appell an Interaktionspartner
Erschrecken
ab Geburt
Der Reiz ist zu heftig.


Alle Muskeln anspannen und beiAndauern zu weinen beginnen.

Nimm den Reiz weg. Mach das nicht nochmal.
Distress
ab Geburt

Mir fehlt etwas Wichtiges.
Ich habe Bedarf.
 
Ich weine weiter, bis mein Bedarf
gestillt ist.
Mach alles wieder gut.
Ekel
ab Geburt

Etwas Ungenießbares wird wahrgenommen.
 
Ich mag das nicht essen (oder anfassen oder sehen). Hör auf damit. Lass das sein.
Interesse/
Erregung

ab Geburt
Etwas Neuartiges oder Unerwartetes
wird wahrgenommen.
Damit möchte ich mich näher beschäftigen. Ich bin aufnahmebereit.
Gib mir mehr Information.
Freude
ab 2 Monate
Etwas Vertrautes und Genussvolles
geschieht.
Davon möchte ich mehr.
Das mache ich nochmal.
Bleib bei mir. Mach das noch mal.
Lass das andauern.
Frustration
ab 4 Monate
Etwas gelingt nicht so wie erwartet. Das soll so werden, wie ich das
erwarte.
Hilf mir, dass es so wird, wie ich das
erwarte.
Ärger
ab 7 Monate
Das Gegenüber verhindert, dass ich
mein Ziel erreiche.
Ich gebe nicht auf. Behindere mein Ziel nicht, ich werde
sonst noch böser.
Traurigkeit
ab 9 Monate
Man hat mich verlassen. Etwas
Wichtiges ist verloren gegangen.
Ich kann nichts mehr tun.
Ich stelle alles Tun ein.
Tröste mich. Bleib bei mir.
Furcht
ab 9 Monate
Etwas Gefährliches ist aufgetaucht. Ich fixiere die Gefahr, bin zur Flucht bereit. Gegenüber Gefahr: Tue mir nichts
Böses. Gegenüber Bezugsperson: Rette mich aus der Gefahr.
Überraschung
ab 9 Monate
Etwas völlig Unerwartetes ist geschehen. Ich muss mich erst einmal orientieren,
was geschehen ist.
Gib mir mehr Information. Ich habe
nichts gewusst. Ich kann nichts dafür.
Verlegenheit
ab 18 Monate
Ich merke, dass ich beobachtet
werde.
Ich möchte mich vor weiterer
Beobachtung schützen.
Beobachte mich nicht mehr.
Mitgefühl
ab 18 Monate
Jemand erleidet einen Schaden. Ich möchte dich trösten und dir
helfen.
Ich fühle mit dir in deinem Leid.
Stolz
ab 24 Monate
Ich habe etwas Wertgeschätztes
geleistet.
Ich gehöre jetzt zu den Großen. Ich will das andauern lassen. Du sollst mich bewundern.
Scham
ab 30 Monate


Ich bin unfähig, etwas Wertgeschätztes zu leisten. Ich habe Böses getan.

Ich will die Situation verlassen.
Das tue ich nie wieder.
Ich bin unfähig/böse, aber schließ
mich nicht aus der Gemeinschaft
aus.
Schuld
ab 36 Monate
Ich habe falsch gehandelt. Ich habe
jemanden geschädigt.
Ich mache das wieder gut.

Ich will, dass du siehst, dass es mir leidtut. Ich will das wiedergutmachen.

Dankbarkeit
ab 36 Monate
Mein Gegenüber hat mir eine Wohltat zuteilwerden lassen. Ich zeige mich ihm gegenüber ehrerbietig. Ich wertschätze dich als einen Wohltäter.


(Holodynski & Gutknecht, 2012)

Literatur

Bischof-Köhler, D. (2000): Kinder auf Zeitreise: Theory of Mind. Zeitverständnis und Handlungsorganisation. Bern: Verlag Hans Huber.
Gutknecht, D. (2015): Bildung in der Kinderkrippe. Wege zur Professionellen Responsivität. Stuttgart: Kohlhammer.
Gutknecht, D. & Kramer, M. (2018): Mikrotransitionen in der Kinderkrippe. Achtsame und konkrete Gestaltungsmöglichkeiten. Freiburg: Herder.
Holodynski, M. & Gutknecht, D. (2012): Die sozial-emotionale Entwicklung in den ersten drei Lebensjahren: Ich brauche dich jetzt! In: Kleinstkinder. Themenheft „Sozial-emotionale Entwicklung“, S. 6 – 13.
Zollinger, B. (2015): Die Entdeckung der Sprache. Bern: Hans Huber.

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