11.01.2022
TPS Redaktion

Vielfalt im Blick

Wir Menschen sind unterschiedlich und viel­fältig, zum Glück! Von Vorteil ist da, wenn diese Diversität thematisiert wird, damit wir in der Gesellschaft und in Unternehmen glei­che Chancen bekommen, individuelle Talente gesehen werden und wir diese entfalten kön­nen und dürfen.

Ein Interview mit Ulrich F. Schübel

klein&groß: Sie leiten ein Institut, das sich vor allem mit Diver­sität beschäftigt. Was beinhaltet Diversity Management? Und warum finden Sie dieses Thema wichtig?

Ulrich F. Schübel: Bei Diversity Management geht es darum, die Diversität (= Vielfalt) von Menschen insgesamt und glei­chermaßen Menschen individuell in ihrer Vielfalt wertzu­schätzen und es zu ermöglichen, dass alle die gleichen Chan­cen bekommen, ihre Talente zu entfalten. Wichtig ist dies insbesondere, weil zahlreiche Studien bele­gen konnten, dass Chancen in der Gesellschaft und in den Organisationen, in denen wir im Rahmen unserer Arbeit ei­nen guten Teil unseres Lebens verbringen, höchst unter­schiedlich und eben nicht gerecht verteilt sind. Das zeigt sich in an vielen Stellen gut belegter Benachteiligung, z. B. wenn Menschen mit nicht deutsch klingenden Namen oder nicht akzentfrei deutsch sprechende auf Job- oder Woh­nungssuche weniger und schlechtere Angebote bekommen, wenn Männern Führungspositionen eher zugetraut werden als Frauen, wenn die Kompetenz für technische Berufe bei Männern und für Sorge- und Betreuungsberufe eher bei Frauen gesehen wird.

Gelingt es einer Organisation und einer Gesellschaft, Chan­cen für alle und die Entfaltung von Talenten zu ermöglichen, so resultiert daraus nicht nur mehr individuelles Wohlbefin­den, sondern eine höhere Leistungsfähigkeit und organisati­onaler Erfolg: Durch ein gutes Diversity Management gelingt es, vielfältige Kompetenzen, Erfahrungen und Sichtweisen in Lösungen zu vereinen, die dadurch besser sind, als wenn diese Vielfalt fehlt.

k&g: Warum ist es für uns manchmal schwierig, Vielfalt wert­schätzend zu leben?

Schübel: Die Realität in Beruf und Gesellschaft zeigt uns – und das ist auch wissenschaftlich erwiesen und statistisch belegbar – dass alle Menschen Vorurteile und sog. „uncon­scious biases“ haben, also unbewusste Wahrnehmungs-, Ur­teils- und Erinnerungsverzerrungen, die aus der Art und Wei­se entstehen, wie menschliche Informationsverarbeitung abläuft. Dadurch machen wir „Fehler“ in unserem Denken und unserem Verhalten, die wir in der Regel nicht bemerken. Diese führen dazu, dass wir Menschen unbewusst diskrimi­nieren und so eben keine gleichen Chancen für alle ermöglichen.

k&g: Auf welche Ziele setzen Sie im Umgang mit Diversität?

 Schübel: Vor dem Hintergrund der Wertschätzung aller Men­schen und der ethischen Verpflichtung, für alle Menschen gleiche Chancen zu ermöglichen, leiten mich folgende Ziele:

1. Aufklärung, Sensibilisierung und Achtsamkeit im Umgang mit Vorurteilen und „unconscious biases“:

Vorurteile sind stabile negative Einstellungen gegenüber Gruppen bzw. Per­sonen, die dieser Gruppe angehören. Vorurteile beruhen oft­mals nicht auf eigenen Erfahrungen, sondern werden von El­tern, Bezugspersonen, innerhalb der Peergroup oder aus den Medien übernommen. Sie beinhalten beispielsweise Zu­schreibungen von Eigenschaften oder Verhaltensweisen zu Menschen mit bestimmten Diversitätsmerkmalen. Männer werden als zielstrebig und durchsetzungsstark beschrieben, Frauen als empathisch und sozial kompetent – das sind ste­reotype Zuschreibungen, die nicht zwangsläufig falsch sein müssen, aber sehr häufig nicht richtig sind. Auf Basis solcher Zuschreibungen kann dann allerdings Chancenungleichheit entstehen, wenn ich beispielsweise bei der Besetzung von Führungspositionen Männer bevorzuge, weil ich unbewusst denke, dass Führungskräfte durchsetzungsstark sein müssen.

2. Vermittlung von Verhaltenskompetenz und Anleitung zur Verhaltensänderung

Über diese Phänomene und ihre Wirkungen Bescheid zu wis­sen und sie in den Blick zu nehmen, führt allerdings nicht automatisch dazu, dass Menschen ihr Verhalten verändern. Dazu braucht es eine entsprechende Kompetenz und Moti­vation.

Wie muss ich handeln, um Diskriminierung und Chancenun­gleichheit zu verringern – allgemein und speziell in jeder hierfür relevanten Situation. Dazu brauchen Menschen die entsprechende Verhaltenskompetenz. Es reicht nicht zu wis­sen, wie man in einer Situation nicht handeln sollte, sondern man muss wissen, was gut ist im Sinne eines chancenge­rechten, nicht diskriminierenden, wertschätzenden Verhal­tens. Diese Verhaltenskompetenz und -motivation aufzubau­en ist – neben der Bewusstmachung, wie und wo z. B. Vorurteile wirken – Inhalt von Diversity-Trainings.

3. Veränderung von Rahmenbedingungen und Vorgehens­weisen in Organisationen und in der Gesellschaft zum Um­gang mit Vielfalt

Um es Menschen leicht zu machen, diskriminierungsarm zu agieren, kann man beispielsweise „gewohnte“ Vorgehens­weisen verändern. So zeigen viele Studien, welchen Einfluss bei Bewerbungen ein Foto und der Name der sich bewerben­den Person auf Auswahlentscheidungen haben. Um hier Chancengleichheit zu ermöglichen und zu verhindern, dass diesen Personen unbewusst weniger Kompetenz zugeschrie­ben wird und damit ihre Chancen auf ein Jobangebot sinken, wie zahlreiche Studien belegen konnten, kann man auf das Foto verzichten und die Namen für die auswählenden Perso­nen schwärzen.

Ein weiteres Beispiel: Damit Menschen gleiche Chancen

erhalten, z. B. Frauen auf Karriere, braucht es kurzfristig Rahmenbedingungen für eine gelingende Vereinbarkeit von Beruf und privater Sorgearbeit, da gesellschaftlich bedingt Frauen nach wie vor stärker in ihrem Privatleben Sorgeauf­gaben für Kinder und Angehörige tragen. Mittel- und lang­fristig jedoch muss es gelingen, dass Sorgeaufgaben gleich­berechtigt von allen Geschlechtern übernommen werden.

4. (Weiter-)Entwicklung von Organisationskulturen und Teil­habe aller

Da wir als Beratungsorganisation in der Regel mit Organisa­tionen zu tun haben, ist ein weiteres Ziel, Organisationen dabei zu unterstützen, allen Menschen strukturell und infor­mell gleichberechtigte Teilhabe auf allen Ebenen und in al­len Belangen zu ermöglichen. Dies gelingt umso besser und nachhaltiger, je stärker „Wertschätzung von Diversität“ als Wert in der Kultur einer Organisation verankert ist. Wichtig ist es daher, im Rahmen werteorientierter Organisationsfüh­rung das Wertesystem einer Organisation um diesen Aspekt „formal“ zu ergänzen, als „Haltungsziel“ einzufordern und diversitätsbewusstes Handeln als Aufgabe aller zu formulie­ren, insbesondere für die Gruppe der Führungs- und Lei­tungskräfte.

 k&g: Unsere Leser:innen arbeiten in der Kita mit Kindern und deren Familien. Welchen Impuls würden Sie für dieses Arbeits­feld bezüglich Diversität weitergeben?

Schübel: Da sich viele Stereotype und Vorurteile in der Vor­schulzeit entwickeln und festigen, ist diese Zeit eine hierfür besonders prägende. So zeigen Studien, dass sich Gender-stereotype, beispielsweise welche Berufe „passen“ für Mäd­chen oder Jungen, am Ende der Vorschulzeit bereits weitge­hend herausgebildet haben. Insofern ist es aus meiner Sicht – auch für unsere Gesellschaft der Zukunft – unglaublich wichtig, dass Kinder in der Kita mit hoher Kompetenz und Sensibilität für Diversity begleitet werden und eine entspre­chende Elternarbeit gemacht wird. Somit können über Anre­gungen aus der Kita auch – soweit dies eben möglich ist – Kompetenzen in der elterlichen Erziehung hierfür wachsen. Für die einzelnen Mitarbeitenden sollten von Trägerseite Weiterbildungen zum Thema Diversität ermöglicht werden. In den Teams sollte dieses Thema kontinuierlich Gegenstand von Reflektion und Supervision sein. In der Gesamtorganisation geht es einerseits darum, den ei­genen Wertekanon und seine Verwirklichung im Hinblick auf Diversität zu prüfen, und andererseits die etablierten Prozes­se wie auch die genutzten Instrumente auf Diskriminierungs­armut weiterzuentwickeln und die Anwender:innen in diesen Prozessen und Instrumenten adäquat zu schulen, beispiels­weise im Hinblick auf „unconscious biases" beim Einsatz von Beobachtungs- und Begutachtungsinstrumenten. Wissenschaftliche Studien zu Bildungsprozessen zeigen z. B. die Bedeutung von Geschlecht, Zuwanderungsgeschichte und Sprachkompetenz der Kinder, Bildungshintergrund und sozi­aler Schicht der Eltern etc. für Bildungsverläufe und berufli­chen Erfolg. Ein gelingender Umgang mit Diversität in der Kita trägt dazu bei, dass Erfolg im weiteren Leben unabhän­giger wird von solchen Faktoren, sondern vielmehr bestimmt wird durch Talente und Interessen der Kinder.

Dipl.-Psych. Ulrich F. Schübel studierte Psychologie und Jura an der Uni­versität Würzburg. 2010 gründete er mit dem Institut für Diversity Ma­nagement sein zweites Unternehmen und begleitet seit dieser Zeit zahl­reiche Organisationen auf ihrem Weg zu mehr Kompetenz und Wertschätzung von Vielfalt. Kontakt: www.diversity-institut.de

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