03.08.2021
Petra Meinhof

Haus oder Wald? — Das Beste aus zwei Welten?

Petra Meinhof kennt beide Welten: Sie hat in einer Haus-Kita gearbeitet und war eine Zeit lang Erzieherin in einem Waldkindergarten. Beides hat sie schätzen gelernt, und berichtet über zwei eindrückliche Erlebnisse – im Wald und im Haus.

Ich hatte das Glück, viele Jahre in einer sehr guten „Haus-Kita“ zu verbringen. Da ich ein Naturmensch bin, spielte ich aber mit dem Gedanken, in einem Waldkindergarten zu arbeiten. So beschloss ich eines Tages kurzerhand, diesem Wunsch nachzugehen, als ich eine Anzeige in der Zeitung entdeckte.

Meine Beobachtungen bestätigten rasch, was ich erwartet hatte: Die Kinder waren hier motorisch unglaublich fit, psychisch und physisch gesund und ihr Fantasiereichtum war riesig. Es gefiel mir, jeden Tag die frische Luft mit ihnen zu atmen, den Verlauf der Jahreszeiten zu erleben und die Natur in ihren vielen Facetten kennenzulernen.

Nach einiger Zeit vermisste ich jedoch die Möglichkeiten, die mir die Räume und das Material im Haus bieten konnten. Das hatte sicherlich etwas mit meinen persönlich liebgewonnenen Schwerpunkten zu tun: die intensive Arbeit mit Portfolios und die Projektarbeit im Situationsansatz. Im Waldkindergarten fehlte mir der dafür nötige „Spielraum“. Um beeindruckende Erfahrungen reicher, kehrte ich nach einem guten halben Jahr zurück ins Haus.

Mein Respekt vor den Waldpädagoginnen, die tagein, tagaus mit den Kindern in der Natur unterwegs sind, ist seitdem noch größer. Nicht jeder ist meiner Meinung nach für diese Arbeit geschaffen. Hohe Überzeugung, fundiertes Wissen und eine große Portion Robustheit gehören dazu. Es reicht nicht aus, ein Naturmensch zu sein.

Ein eiskalter Wintertag im Waldkindergarten

 6.30 Uhr am Morgen. Stockfinster. Das Außenthermometer zeigt minus 19 Grad an. Ein eiskalter Winter. Normalerweise hätte ich keinen Gedanken daran verschwendet, mich bei dieser Witterung im Freien aufzuhalten. An diesem Morgen blieb mir jedoch keine Wahl: Ich arbeitete schließlich im Waldkindergarten. Solche Tage sind selten. Doch selbst meine Kollegin mit viel Walderfahrung schien etwas ratlos angesichts der zweistelligen Minuszahlen … Unsere kleine Hütte konnten wir mit dem Bollerofen gut einheizen. Aber den ganzen Vormittag mit den Kindern darin zu verbringen, war keine gute Alternative. Also schmiedeten wir den einfachsten Plan: Ab nach draußen! Wir mussten in Bewegung bleiben.

Bevor wir loszogen, schoben wir noch so viel Holz wie möglich in den Ofen. Das Feuer loderte und die Vorfreude auf den Moment, in dem wir diese wohlig-warme Hütte wieder betreten würden, stimmte uns versöhnlich. Die Kinder waren gut gerüstet gegen die Kälte. Meine Kollegin und ich sahen aus wie „Michelin-Weibchen“. Hauptsache warm!

Unser erster Weg führte uns, mit Vogelfutter im Gepäck, zu unserem Frühstücksplatz. Die Vögel kannten unsere Frühstückszeiten genau und nicht selten aßen Kinder, Rotkehlchen und Spatzen dicht beieinander. Sie warteten schon hungrig aufgeplustert an unserem Waldsofa. Wir beobachteten einen Moment, wie sie gierig pickten und gingen dann weiter. Die Bäume waren überzogen von Puderzuckerfrost, der Boden war steinhart gefroren. Nur unsere dumpfen Schritte und das rhythmische Schleifen der Schneeanzüge waren zu hören. Sonst war es im Wald noch stiller als sonst. Über unserer kleinen Gruppe schwebte eine Wolke aus Kinderatem. Die Kinder lachten und unterhielten sich wie sonst auch. Prüfend blickte ich in ihre Gesichter: rote Wangen und leuchtende Augen! Hin und wieder sagte ein Kind: „Ist das kalt!“ Sonst gab es kaum Beschwerden. Im Gegenteil: Sie staunten über eingefrorene Spinnennetze und frostige Baumblätter. Der spannendste Moment an diesem Vormittag war, als wir unsere eingefrorenen Wimpern und Haare, die aus den Mützen hervorlugten, bemerkten! Nach einer Weile verlangsamte sich der Trupp. Wir traten den Rückzug an. Aus dem Schornstein unseres Hüttchens sahen wir schon von Weitem den Rauch aufsteigen. Jeder freute sich auf das Geschichtenlesen am Ofen.

Eine Handarbeitsstunde für Jungs im Hauskindergarten

 Ein Morgen in einer Hamburger Kita. Das Wetter draußen nass und ungemütlich. Die Fußballjungs hatten sich deshalb heute im Flur zum Kicken versammelt. Konrad war auch dabei, aber es gab wohl eine Auseinandersetzung und nun schlich er im Atelier umher. Das kannte ich von ihm: Wenn er nicht mit Fußballspielen beschäftigt war, zeigte er sich von seiner kreativen Seite und ließ sich von der Materialvielfalt im Atelier inspirieren: Perlen, Filz, Kleber, Ton, Papier, Sand, Kleister, Farben. Alle Regale ging er mit den Augen so lange durch, bis er etwas fand, das sich mit seinen Ideen bearbeiten ließ.

An diesem Vormittag blieben seine Blicke bei den Filzstoffrollen hängen: „Ich könnte doch mal was nähen!“ Eine fantastische „Konrad-Idee“, fand ich und fragte ihn, wie er sich das vorstelle. Er erzählte mir, dass er schon mit der Hand nähen könnte. Seine Oma hätte ihm das beigebracht. Nadel, Faden, Schere waren flink zusammengesucht. Nun musste sich Konrad überlegen, was er nähen wolle. Seine Stirn kräuselte sich. „Eine Handytasche für meine Mama!“ Um die Größe abzuschätzen, zeigte ich ihm zur Orientierung mein Handy. Ja, die Größe müsste stimmen, sagte Konrad. Bevor er sich die Umrisse abzeichnete, erklärte ich ihm noch, wie man einen Stoff im „Bruch“ legt. Konrad zeichnete und schnitt den Filz in seiner Wahlfarbe aus. Die nächste Herausforderung bestand darin, den Faden einzufädeln. Hoch konzentriert schaffte er diese Aufgabe.

Nun ging es los. Er suchte sich einen gemütlichen Platz, wo er ungestört arbeiten konnte, und bis auf das Vernähen des Fadens zu Beginn und am Ende meisterte er die Arbeit selbstständig! Während er nähte, kam sein Kumpel Mattis, der auf der Suche nach ihm war. „Was machst du da?“, fragte er. „Ich nähe!“, sagte Konrad, als wäre es das Selbstverständlichste und erzählte ihm von seinem Projekt. Mattis war angesteckt. Auch er wollte nähen und so nahm der Handarbeitsvormittag seinen Lauf. Konrad gab Mattis professionelle Instruktionen. Es kamen auch noch zwei Mädchen dazu und es entstanden in fast ausschließlicher Eigenregie der Kinder einige Handy- und Laptoptaschen aus Filz. Sie brauchten meine Hilfe nur selten. Als Mattis’ Mutter zum Abholen kam, traute sie ihren Augen kaum, als sie die beiden Jungs mit der Nadel in der Hand sah. „Mattis, du nähst!?“ Die Verwunderung in der Stimme der Mutter werde ich nie vergessen.  

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