27.04.2023
TPS Redaktion, Friederike Falkenberg

Zukunftsparagraf: Großeltern in die Kita

Neue Idee zu einem alten Problem: Um gegen den Fachkräftemangel und überlastetes Personal anzukämpfen, schlägt der Städtetag Baden-Württemberg vor, Großeltern und andere Hilfskräfte in den Kitas auf den Personalschlüssel anzurechnen. Wir haben TPS-Autor:innen gefragt, was sie von der Idee halten.

Großeltern und andere Hilfskräfte in der Kita: Der Vorschlag des Städtetags Baden-Württemberg sorgte für Aufruhr. Auf Social Media wurden entsprechende Posts von Nachrichtensendern wie der Tagesschau und dem SWR geteilt und kommentiert, die Hauptthese war klar: Wenn ungelernte Hilfspersonen zum Personalschlüssel gezählt werden, mindert dies die hart erkämpfte Fachlichkeit des ausgebildeten Personals und das Ansehen der Ausbildung. Und es bedeutet für die Fachkräfte eher mehr als weniger Arbeit.

Kurz nochmal zusammengefasst: Bisher gilt, dass in Kitas in Baden-Württemberg zwei Fachkräfte pro Gruppe anwesend sein müssen. Ein Vorschlag aus den Kommunen sei nun, vermehrt auch ungelernte Hilfskräfte einzustellen und diese dann auch auf den Personalschlüssel anzurechnen. Statt wie bisher zwei Fachkräfte, könnten dann in einer Gruppe eine Fachkraft und zwei Hilfskräfte, also beispielsweise eine Praktikantin und ein Großvater für die Kinder da sein.

Wir aus der TPS-Redaktion haben schließlich bei unseren Autor:innen aus der Praxis nachgefragt: Was halten sie von dieser Idee?

Florian Esser-Greassidou, Qualitätsleiter und Fachberater in NRW sagt: „Als ich die Meldung gelesen habe, dass in Baden-Württemberg Großeltern und andere Hilfskräfte als Ersatz für ausgebildetes Personal einspringen sollten, war ich nicht begeistert. Das funktioniert doch nicht langfristig. Außerdem dachte ich sofort an die Außenwirkung, die eine solche Regelung hat: Mal wieder wird die Fachlichkeit der Fachkräfte abgesprochen. So ein Vorschlag zeigt, dass immer noch viele glauben: Wer gut mit Kindern kann, kann auch in der Kita arbeiten. Das würde man in anderen Berufen niemals machen. Ein Hobby oder eine Neigung ist nicht das Gleiche wie fachliche Kompetenz.

Ich sehe in dem Vorschlag, Großeltern in die Kitas zu holen folgende Probleme: 

  1. Wie vermittle ich als Leitung oder Träger meinen Mitarbeitenden und auch den Eltern, dass ich gute Bildung voranbringen möchte und professionelle und qualitativ hochwertige Arbeit leiste und gleichzeitig ungelernte Hilfskräfte in die Einrichtung hole?        
  2. Welchen Arbeitsbereich sollen die Hilfskräfte überhaupt übernehmen?       
  3. Wie kann ich sicherstellen, dass die Regeln zum Kinderschutz und zur Datensicherheit eingehalten werden? Neues Personal muss sich immer erst das Vertrauen aller erarbeiten und ich halte es auch für problematisch, wenn durch verwandte Hilfskräfte wie Großeltern oder Eltern sensible Informationen über andere Kinder durchsickern und weitergegeben werden.

In NRW haben wir die Möglichkeit, sogenannte Alltagshelfer einzustellen. Diese wurden im Zuge der Corona-Krise eingestellt, um morgens als Erste die Einrichtung zu desinfizieren und beim Einhalten der Hygienemaßnahmen zu helfen. Inzwischen begleiten sie aber auch mal einen Ausflug, reparieren ein Laufrad oder bringen das Mittagessen in die Gruppenräume und wieder in die Küche. Sie haben aber keinen pädagogischen oder pflegerischen Auftrag und werden auch nicht auf den Personalschlüssel angerechnet. Meiner Meinung nach schützt diese Regelung sowohl die Helfer:innen vor zu viel Verantwortung als auch die Einrichtungen vor Überlastung.“

Saskia Franz, Kita-Leiterin aus Benningen bei Stuttgart, sieht das ähnlich. Sie lebt und arbeitet in Baden-Württemberg und wäre somit von einer möglichen neuen Regelung direkt betroffen. „Ich verfolge die Bildungspolitik in Baden-Württemberg intensiv und habe auch auf der Didacta mit vielen Fachkräften gesprochen: Natürlich sucht man nach dem goldenen Ei, das den Fachkräftemangel auf einen Schlag beseitigt. Es soll einfach umzusetzen sein und darf nichts kosten. Trotzdem bedenken Menschen, die solche Vorschläge machen, nicht, wie fatal die Wirkung auf unsere Wertschätzung und gesellschaftliche Stellung ist. Natürlich sind Großeltern in der Kita wertvoll. Und ich finde es auch wichtig, dass Kinder von unterschiedlichen Generationen lernen können. Es ist super, wenn eine Großmutter oder ein Großvater zu uns kommt, mal schnell die Teeküche aufräumt oder das Frühstück begleitet. Sowas würde ich aber immer als Zusatzangebot sehen. Niemals als festes Personal. Je mehr fachfremdes Personal ich mir in die Kita hole, desto größer wird der Berg an Aufgaben für die ausgebildeten Kräfte. Denn in der Kita ist nichts mehr unpädagogisch. Von der Begrüßung über den Mittagsschlaf bis zur Obstpause am Nachmittag: Alles eine pädagogische Handlung und wird dokumentiert und analysiert. Wenn nur noch eine Fachkraft pro Gruppe entsprechend ausgebildet ist, bleiben alle Elterngespräche, alle Beobachtungen und Entwicklungsdokumentationen der Gruppe an ihr hängen.

Außerdem frage ich mich auch: Wie viele Rentner:innen sind denn heute noch unausgelastet? Meine Mutter betreut mindestens einmal die Woche die Kinder meines Bruders, weil in der Kita jemand krank ist, das Personal streikt oder die Kita geschlossen ist. Und wer in der Kita aushelfen will, muss ja auch entsprechend fit sein. Da frage ich mich schon: Kann jemand auf dem Boden sitzen? Gut in die Hocke gehen? Sich ohne Schmerzen bücken? Und auch den Lärmpegel in der Kita für längere Zeit verkraften? Was nämlich für die Kinder auch belastend ist, sind ständig wechselnde Bezugspersonen. Wenn die ungelernten Hilfskräfte nur ein paar Monate durchhalten und dann wieder durch andere ersetzt werden, müssen sich die Kinder häufig umgewöhnen. Und für die Kitas ist es ein großer organisatorischer Aufwand. Ich würde also sagen: Großeltern, kommt gerne als Hilfskräfte und zusätzliches Angebot. Den Fachkräftemangel aber lösen wir damit leider nicht.“

 

Tipp

Die genaue Regelung können Sie im sogenannten Zukunftsparagrafen des Städtetags nachlesen: www.kita-der-zukunft.de

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