13.11.2023
Angelika Kirn

Bereit für die Schule?

Die Rolle der Fachkraft vor dem Schuleintritt

Eltern sind oft übermotiviert, wenn es um den Schuleintritt geht. Warum Fachkräfte hier aufklären müssen und welche acht Kompetenzen ein Kind für die Schulfähigkeit haben sollte.

Praxis Kitaleitung

Heute hat Annika wieder Zahlen und Buchstaben aufgeschrieben.“ Die Mutter von Annika zeigt ganz stolz, die weißen Blätter mit den farbigen großen Buchstaben A und N. „Ihren Namen kann sie auch schon und daheim sitzt sie stundenlang beim Ausmalen.“

Annikas Eltern sehen die Stärken ihres Kindes und für sie steht fest: Ihr Kind kann in die Schule gehen.

„Ein paar Defizite hat sie schon noch“, erklärt die Mutter, „Rechnen kann sie noch nicht oder erste Wörter lesen, aber bis zum Schulanfang ist ja noch viel Zeit. Wir haben ja erst Januar und Annika feiert ihren sechsten Geburts-tag eh erst Ende August.“

Die Mutter versucht den Fachkräften klarzumachen, warum sie Annika in der Schule sieht. Und es stimmt, Annika ist im Moment sehr interessiert an Zahlen und Buchstaben, doch es gibt weitere Kompetenzen für einen gelungenen Schulstart und für die spätere Schulzeit. Hier ist es Aufgabe der Fach-kraft, die Eltern darüber aufzuklären, welche Fähigkeiten das Kind braucht. Am besten geht das in einem Beratungs- und Entwicklungsgespräch.

Vorbereitung im Team

Besprechen Sie vorher mit Ihren Kollegen und Kolleginnen das Verhalten, die Stärken und das Können des jeweiligen Kindes. Gehen Sie dabei von den acht Kompetenzen eines zukünftigen Schulkindes aus:

1 Sprachliche Kompetenz:

Kann das Kind

  • in ganzen Sätzen sprechen und sich grammatikalisch richtig ausdrücken?
  • eine Geschichte detailreich nacherzählen?
  • alle Buchstaben und Silben klar aussprechen?
  • sich Reime, Lieder, Fingerspiele merken und wiedergeben?
  • Geräusche unterscheiden und Phoneme hören (z. B. Rasen – Rosen)?

2 Emotionale Kompetenz:

  • Kann das Kind seine Bedürfnisse, Belange und Meinung aussprechen und vertreten?
  • Kennt es Strategien zur Problemlösung?
  • Wie hoch ist die Frustrationstoleranz? Wie verhält sich das Kind, wenn es nicht zum Erzählen drankommt oder beim Anstellen nicht Erster ist?
  • Hält das Kind wertschätzende Kritik aus, wenn es Grenzen übertritt?
  • Kann es sich von den Eltern über einen längeren Zeitraum lösen?

3 Motivation und Ausdauer:

  • Spricht das Kind positiv über die Schule?
  • Will das Kind lernen und Neues ausprobieren?
  • Übernimmt es gerne Verantwortungsbereiche im Alltag?
  • Kann es sich über einen längeren Zeitraum (15 bis 20 Minuten) mit etwas beschäftigen oder zuhören?

4 Soziale Kompetenz:

  • Hat das Kind gleichaltrige Freunde oder orientiert es sich an jüngeren?
  • Kann das Kind die eigene Meinung vertreten und andere zulassen, ohne nonverbale Aktivität?
  • Erkennt es Regeln im Alltag und Grenzen von den einzelnen Mitmenschen?
  • Kümmert es sich um die Belange und Bedürfnisse anderer Kinder, insbesondere von jüngeren?
  • Kann es eigene Grenzen erkennen und sich verbal und nonverbal verteidigen.

5 Selbstständigkeit und Eigenverantwortung:

  • Kann das Kind alleine auf die Toilette gehen, Händewaschen und Nase putzen?
  • Kann es sich selbst anziehen und die Schuhe binden?
  • Übernimmt es für sich Verantwortung? (Habe ich genug gegessen und getrunken?)
  • Nimmt das Kind Aufgaben gerne an und kann diese erledigen?

6 Grobmotorische Kompetenz:

  • Kann das Kind die Treppe zügig hinauf- und hinuntergehen?
  • Kann es über einen längeren Zeit-raum laufen, ohne öfter hinzufallen?
  • Kann es auf einem Bein hüpfen, und mit beiden Beinen springen?
  • Traut es sich zu klettern?

7 Feinmotorische Kompetenz:

  • Stimmt die Augen-Hand-Koordination?
  • Kann das Kind aus dem Handgelenk ausmalen, schreiben, ohne die Hand zu verkrampfen? Beherrscht es die Drei-Finger-Stifthaltung?
  • Kann es den Pinzettengriff anwenden, z. B. Lego bauen, Bügelperlen legen, Perlen auffädeln.
  • Kann es mit der Schere geradeaus, kurvig und genau ausschneiden?

8 Kognitive Kompetenz:

  • Erkennt das Kind Namen und kann sie schreiben?
  • Verfügt es über mathematische Grundlagen wie Mengenerfassen und Zahlenverständnis bis 10? Kann es Farben und einfache Formen erkennen und benennen?
  • Erfasst es mehrteilige Arbeitsaufträge und kann es sie umsetzen?
  • Erkennt es Körperschema und -teile und kann sie benennen, u. a. Augen-brauen, Wimpern, Fingernägel.
  • Kann es Puzzle lösen und das große Ganze sehen?
  • Versteht es bei Tischspielen die Spiel-anleitung und -regeln, kann es diese umsetzen und mit anderen, ohne Erwachsene, spielen?

Ergänzen Sie mit Ihren Teammitgliedern die Liste. Was ist Ihnen wichtig, welche Kompetenzen braucht ein Vorschulkind? Bringen Sie die ausgefüllte Liste mit zum Eltern gespräch.

AUF EINEN BLICK

TIPPS FÜR DAS GESPRÄCH:

  • Eltern sind Experten ihrer Kinder, das pädagogische Personal gibt eine umfassende Übersicht.
  • Sie haben eine beratende Funktion, die Eltern entscheiden.
  • Überfordern Sie Eltern nicht und stülpen Sie nicht Ihre Meinung über, sondern geben Sie genügend Raum für eigene Gedanken. 
  • Zeigen Sie den Eltern verschiedene Wege, wie sie mit ihrem Kind umgehen können.
  • Geben Sie echtes, konstruktives Feedback.
  •  Dokumentieren Sie das Gespräch.

Vorbereitung des Raumes

Legen Sie ein Tuch in die Mitte des Tisches und darauf ein Foto vom Kind, eine Lerngeschichte, den Portfolio- Ordner oder das Spielzeug, das momentan am liebsten benutzt wird.  Damit wird sichtbar: „Das Kind steht im Mittelpunkt und alle Gesprächsbeteiligten möchten das Bestmögliche.“

Gestalten Sie Kärtchen mit den acht Kompetenzen und legen Sie diese sichtbar um das Foto des Kindes.  Beginnen Sie das Gespräch mit der Frage, was das Kind zu Hause von der Kita erzählt, mit wem es gerne spielt und womit es sich zurzeit beschäftigt. Leiten Sie über auf die Kompetenzen und erarbeiten Sie die Stärken des Kindes mit den Eltern im Dialog.

Erklären Sie anhand von Beispielen, in welchen Bereichen das Kind noch eine Entwicklung braucht, und wie die Eltern dies spielerisch fördern können. Annika interessiert sich für Buchstaben und Zahlen. Das ist ihre Stärke und gehört zur kognitiven Kompetenz. Annika braucht aber noch Zeit, damit sie sich emotional festigt und ihre Grenzen bei anderen Kindern aufzeigen kann. In Konflikten zieht sie sich zurück, wird leise und weint öfter. Für Lösungen des Streites braucht sie die Unterstützung der Erwachsenen. Wenn sie im Gesprächskreis etwas sagen möchte, traut sie sich nicht, laut vor der Gruppe zu sprechen.

Finden Sie gemeinsam einen Weg, den beide Parteien gehen möchten. Haben die Eltern überhaupt Bedenken? Bleibt Annika noch ein Jahr in der Kita? Wenn sie in die Schule geht: Braucht sie noch Unterstützung durch Ergotherapie, Logopädie oder die Frühförderstelle?

Durch die acht Kompetenzen sehen Eltern, dass schulfähig nicht heißt, den Namen schreiben zu können und am Tablet lange Zeit konzentriert zu sein. Ein zukünftiges Schulkind braucht eine ganzheitliche, individuelle, wertschätzende Beobachtung und sein Familiensystem.

Angelika Kirn arbeitet als Erzieherin mit Schwerpunkt Musik und Theaterpädagogik sowie als Praxisanleitung.

Bildquellen GettyImages / ILONA KITAEVA
Leitung Pädagogische Fachkraft Kindergarten Kommunikation Begabung Beobachten und Dokumentieren Übergänge Elterngespäche Unterstützung von Familien
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