30.07.2020
Amna Akeela ©Imag Source/GettyImages
Redaktion

Was uns Corona lehrt: Wie wir Erfahrungen nutzen

Ein Kind statt zehn, offenes Arbeiten in geschlossenen Räumen und Teamgeist trotz Homeoffice – die Erfahrungen der Teams, Kinder und Eltern in den vergangenen Monaten sind vielseitig. Wie lassen sie sich nutzen? Unsere Autorin zeigt, wie es gelingt, innezuhalten, das Erlebte zu reflektieren und das Beste mitzunehmen.

Text: Amna Akeela
Bild: ©Imag Source/GettyImages

In der Pandemie-Situation haben Leitungen sich selbst, ihre Teams, die einzelnen Fachkräfte, die Kinder und Familien durch aufregende Zeiten gelotst. Es galt Vieles gleichzeitig zu bedenken: von selbsterklärenden Aushängen über die Planung von zeitversetzten Kindergruppen, samt Personaleinsatz und Reinigungsphasen, bis hin zu der Frage: Wie bewahren wir in dieser veränderten Praxis unsere pädagogischen Grundsätze?

Dieses Puzzle hat alle Kitas in den letzten Monaten bewegt. Jede Kita hat sehr kreativ Lösungen entwickelt, orientiert an der zugrundeliegenden Kita-Kultur und Kita-Konzeption. Nun ist es an der Zeit innezuhalten: Wie haben die Kinder, die Familien, das Team diese Monate erlebt? Welche Veränderungen waren notwendig, welche davon werden vorerst weiter bestehen und welche braucht der Weg zurück zum Regelbetrieb?

Auch in Kitas, die sich oft in jahrelanger Entwicklungsarbeit offene Strukturen für ihre pädagogischen Angebote aufgebaut haben, erforderte die unverzügliche Umsetzung der institutionellen Schutzmaßnahmen, dass Kerngruppen gebildet wurden. Die jeweilige Kindergruppe wurde zusammengestellt, das Personal blieb weitgehend beständig mit diesen Kindern zusammen und Funktionsräume wurden um Möglichkeiten anderer Bildungsbereiche oder für die Mahlzeiten ergänzt. In anderen Kitas wurden Bewegungsräume zu Gruppenräumen erklärt, um möglichst viele Kinder unterbringen zu können.

Weil ich es so sage?

Viele Fachkräfte haben in den letzten Wochen vielfältige und intensive Beobachtungen gemacht. Häufig wurde die Erfahrung gemacht, dass die Kontinuität mit den Kindern den Beziehungsaufbau stärkte und sie die Interessen und Bedürfnisse der Kinder gezielter begleiten können. So zeigt sich, dass ein offenes Konzept auch in geschlossenen Gruppen durch das pädagogische Handeln weiterhin belebt wird, trotz und manchmal aufgrund der veränderten räumlichen Begrenzungen. Andere Fachkräfte nehmen in der Selbstreflexion vielleicht beim ständigen Wiederholen der neuen Regeln gegenüber den Kindern, Familien und im Team ein adultistisches Handeln an sich wahr. Statt mit Kindern auf Augenhöhe zu sprechen, nehmen sie eine Rolle ein, die ausdrückt: „Weil ich es als Erwachsene so sage“.

Die zeitweise Entschleunigung hat vielerorts Raum für übergreifenden Austausch im Team und damit für ein bewussteres pädagogisches Handeln, Planen und Reflektieren geschaffen. Der Kitaleitung bieten diese Lerngeschichten der Fachkräfte wertvolle Impulse für die konzeptionelle Arbeit im Team. Die konkreten aktuellen Erfahrungen aus der Praxis sind eine gute Basis für die gemeinsameReflexion und die Evaluation des Kita-Konzeptes.

In der Moderation solcher Teamgespräche habe ich positive Erfahrungen mit dem Einsatz von Karten gemacht: Die Karten können spontan eingesetzt und zwischen den Besprechungen gesammelt werden. Es ist sinnvoll, die Karten an verschiedenen Stellen auszulegen. Jedes Mitglied im Team kann Beobachtungen, Impulse oder Fragen darauf notieren. Die beschriebenen Karten werden in einer Kiste gesammelt, und in jeder Dienstbesprechung wird eine Karte gezogen und in die Mitte gelegt oder sichtbar angepinnt. Über diese Visualisierung ist der Fokus präsent und das Team kann gut ins Gespräch kommen.

Für eine konstruktiv gestaltete Besprechungskultur empfehle ich auch Methoden, die Teresa Wiesalla entwickelt und in ihrem Team erfolgreich erprobt hat, um Ressourcen, Wünsche und Herausforderungen aus Sicht der Fachkräfte festzuhalten. Sie gab ihrem Team Karten, die als Schatzkiste, Wunschwolke und Blackbox bezeichnet wurden, Gedanken also vorsortierten.

Wenn ich mit Teams die Zeit der Notbetreuung reflektiere, kommen immer wieder die folgenden Handlungsfelderzur Sprache:

  1. Interaktion mit Kindern: Die Eins-zu-Eins-Betreuung oder Kleingruppenbetreuung wird als familiäres Setting erlebt. Die Kinder bleiben länger an einem Ort und beschäftigen sich intensiver mit den vorhandenen Materialien. Welche Folgenhat das für unser Handeln?
  2. Zusammenarbeit im Team: Jeder für sich? Oder wie gelingt es, Zeit und Raum für die ressourcenbildende Teamdynamik und für einen Austausch im Team zu finden?
  3. Funktionsräume übertragen und Lernumgebung gestalten: Täglicher Aufenthalt im Bewegungsraum bietet den Kindern eingeschränkte Möglichkeiten. Wie bekommen wir das Atelier mit hinein?
  4. Inklusive Strukturen: Partizipation, Kinderrechte, Vorurteilsbewusstsein: Viele neue Regeln und Abläufe – wie können die Kinder informiert und beteiligt werden?
  5. Zusammenarbeit mit Familien: Die Kinder haben zu Hause eine besondere Situation des Familienlebens erlebt und entsprechende Entwicklungen gemacht. Was hat ihnen den Wechsel wieder in die Kita erleichtert? Was können wir davon in die reguläre Eingewöhnung übernehmen?
  6. Kinderschutz–Zusammenarbeit im Sozialraum, mit sozialen Diensten und Behörden: Einzelne Kinder sind noch nicht wieder in der Kita. Die Familien geben an, Sorge zu haben, dass sich ihr Kind in der Kita mit dem Corona-Virus infiziert. Die Fachkräfte wissen um die kritischefamiliäre Situation und sorgen sich um das Kind. Was ist zu tun?

In diesen Gesprächen kann es emotional werden. Michaele Gabel und Susanne Kühn haben hilfreiche Fragen und Tipps formuliert, um fürsorglich miteinander umzugehen. Werden die in der Krise gemachten Erfahrungen reflektiert, ist die Frage „Was gibt uns Kraft?“ wesentlich für einen konstruktiven Austausch. Damit schaffen Sie ein Vertrauensverhältnis, in dem die Möglichkeiten der inklusiven Pädagogik, der Beteiligung und Selbstbestimmung der Kinder und Fachkräfte diskutiert werden. Als Team erinnern Sie sich an die Ziele, die Sie mit Ihrem (offenen) Konzept verfolgen. „Offene Arbeit“, schreibt die Pädagogin Gerlinde Lill, „zielt auf eine offene Gesellschaft, in der alle teilhaben und sich einbringen können.

Amna Janne Akeela ist Diplom-Pädagogin, Fachberaterin „Sprach-Kitas“ und war ehemalige Kitaleiterin. Freiberuflich ist sie Fortbildungsreferentin und Prozessbegleiterin für Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung (Fachstelle Kinderwelten). www.amna-akeela.de.

Zum Weiterlesen

Wiesalla, Teresa (2020): Im Team in Kontakt bleiben. https://www.diakonie-hamburg.de/export/sites/default/.content/downloads/Methode-Schatzkiste-Wunschwolke-BlackBox-Anleitung.pdf (Zugriff am 21.07.2020)

Gabel, Michaele; Kühn, Susanne (2020): Hör auf dich selbst. TPS-Downloads 6/20.

Lill, Gerlinde (2015): Offene Arbeit –ein inklusives und partizipatives Konzept. https://www.erzieherin.de/offene-arbeit-ein-inklusives-und-partizipatives-konzept.html (Zugriff am 21.07.2020)

Macha, Katrin; Bielesza, Aleksandra; Friedrich, Robert (2018): Das macht’s echt leichter! Den Alltag mit dem Situationsansatz gestalten. Kita-Fachtexte 11/18. https://www.kita-fachtexte.de/fileadmin/Redaktion/Publikationen/KiTaFT_Macha_2018_AlltagmitdemSituationsansatz.pdf (Zugriff am 21.07.2020)

Niedersächsisches Institut für frühkindliche Bildung und Entwicklung (2016): Handlungsschritte zum Offenen Arbeiten. Interview mit Kerstin Vogelmann. Übernahme aus der Zeitschrift klein & groß 10/2016. Seite 18-20. https://www.nifbe.de/component/themensammlung?view=item&id=651:handlungsschritte-zum-offenen-arbeiten&catid=313 (Zugriff am 21.07.2020)

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